[Interview] Vor dem Debüt – „Die im Dunkeln sieht man nicht“

Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Bertolt Brecht – Die Dreigroschenoper

Wir von „das Debüt“ sprechen mit Verlagen über ihre neuesten Debütanten und rezensieren Debütromane. Wir interviewen Debütautoren, diskutieren über ihre Werke, besuchen ihre Lesungen. Egal, was wir tun, etwas ist immer gleich: Wir erzählen 20140705_085312Erfolgsgeschichten. Es spielt keine Rolle, ob uns der Debütroman gefällt oder nicht, oder wie hoch die Verkaufszahlen sind – er wurde veröffentlicht. Der Autor kann in eine Buchhandlung gehen und dort seinen eigenen Roman bestellen. All das, was der Autor vor dem Debüt gemacht hat, Literaturinstitut, open mike, Schauspielausbildung oder Angestelltendasein in einer Versicherungsgesellschaft – es wird zur Randnotiz im Klappentext.
Doch was ist, wenn es einfach nicht klappen will mit dem Romandebüt? Wenn sich kein Verlag finden lässt, der es veröffentlichen möchte? Wie sieht er aus, der Kampf um das eigene Debüt? Wir haben mit einem Mann über seinen großen Traum vom Romandebüt gesprochen. Er schreibt seit Jahrzehnten, ist schon über vierzig und arbeitet hauptberuflich als Deutsch- und Englischlehrer. Und er hat anderthalb Romane in der Schublade, die bislang niemand veröffentlichen will.

„Man hat als Autor das Gefühl, wenn ich es schaffe, ein Buch zu veröffentlichen, dann fängt mit diesem Buch mein Leben, meine Existenz als Autor erst an. Solange ich kein Buch veröffentlicht habe, bin ich quasi Embryo, ich bin noch gar nicht auf die Welt gekommen.“

Mit ihm haben wir ein ausführliches Interview geführt – über sein „Leben im Dunklen“, das Leben vor dem Debüt.

Das Interview auch als PDF zum Download:Interview-Vor dem Debüt

Wie weit entfernt fühlst du dich gerade vom Romandebüt?

Das ist eine gemeine Frage. Aber es ist auch eine ganz gute Frage. Ja, die Frage ist wirklich gemein. Ich fühle mich komischerweise immer wieder total nah dran am Romandebüt – das wechselt. Ich habe kürzlich erfahren, dass ich mit meinem ersten Roman überall abgelehnt worden bin. Dem Kiepenheuer & Witsch Verlag war ich zu nerdig, dem Eichborn Verlag nicht comedy-artig genug. Das ist natürlich frustrierend. Aber ich merke immer, wenn ich etwas schreibe und mir dann zwei, drei Sätze einfallen, mit denen man das auch bewerben könnte, dann bin ich ganz schnell in so einer Phantasievorstellung drin, dass ich mir vorstellen kann, dass das jetzt ein Buch ist. Dann kann ich leicht einen euphorischen Zustand entwickeln und denke: Ja, das muss doch jetzt irgendwie einschlagen. Das ist aber ein Feeling, das ich periodisch immer wieder habe, wahrscheinlich schon seit dreißig Jahren.

Stellen wir uns vor: Es sind hundert Meter bis zum Romandebüt. Wie weit bist du schon gelaufen? Stehst du noch am Start oder hast du schon fünfzig Meter hinter dir?

Ich stehe natürlich am Start. Aber ich weiß ja, es gibt keine Strecke. Das ist ja das Gemeine. Beim Laufen weiß ich, ich muss soundso weit laufen, dann bin ich da. Aber ich kann beim Schreiben – so wird mir das auch von anderen erzählt –in drei Wochen das Lotteriespiel gewinnen, oder es kann nie passieren. Man ist also nicht nah dran oder weit weg. Seit zwanzig Jahren bin ich in der Situation, dass mir vermittelt wird, dass ich das Zeug zu einem professionellen Autor habe, ich bekomme also immer wieder so ein gewisses Gütesiegel mit und habe immer wieder die daraus resultierende Motivation und den daraus resultierenden Optimismus – und erlebe dann aber, dass es am Ende doch ein Glücksspiel ist, professionelle Anerkennung zu gewinnen. Je nachdem, wie viel Zuspruch ich kriege, schwanke ich dann auch zwischen dem Gefühl, nah dran zu sein und der Angst, vielleicht doch einer totalen Illusion aufzusitzen und eine Macke zu haben.

Wann hast du angefangen, literarisch zu schreiben?

Geschrieben habe ich in gewisser Weise schon, solange ich denken kann. Ich habe wahrscheinlich schon geschrieben, bevor ich lesen und schreiben konnte. Ich habe mir schon immer Geschichten ausgedacht. Das literarische Schreiben habe ich mit fünfzehn, sechzehn Jahren begonnen. Das heißt nicht, dass das, was ich da geschrieben habe, schon hoch literarisch war, aber ich hatte einen literarischen Anspruch. Ab da habe ich mir gesagt, ich will Schriftsteller werden und ich will Geschichten schreiben.

Was waren deine ersten Themen?

Ich habe Kurzgeschichten geschrieben und Gedichte. Entweder waren es total platte satirische Texte – zum Beispiel eine Geschichte über Gentechnik, in der man Kinder im Supermarkt kaufen konnte – oder es waren Texte über Jugendprobleme, über Identitätsfindung und Rollenverhalten. Ich schätze, sie waren ziemlich moralisch, und ich würde sie mir nicht mehr gerne durchlesen. Andererseits soll man sein früheres Ich ja nicht schlecht machen.

War das Romandebüt von Anfang an ein Traum?

Es war ein Vorhaben. Mit siebzehn, achtzehn Jahren dachte ich, spätestens mit dreißig muss ich meinen ersten Roman fertig und veröffentlicht haben. Und dann habe ich mit achtzehn angefangen, ein Buch zu schreiben. Das waren Episoden aus dem Leben eines schüchter20140705_085336nen pubertierenden Jungen. Der Roman war leider nur sechsundfünfzig Seiten lang. Das habe ich Jugendbuchverlagen angeboten und war ganz stolz, weil ich neben den üblichen „Vielen Dank, passt nicht in unser Programm“-Absagen drei nette Briefe bekommen habe. Einer hat sogar bei mir angerufen – vom Thienemann Verlag, der Verlag von Michael Ende – und der hat gesagt, dass er den Ton sehr schön fände, aber dass die Geschichten keine Einheit bilden würden – was auch stimmte. Aber er würde sich das nochmal angucken, wenn ich eine komplette zusammenhängende Geschichte daraus gemacht hätte. Eine Frau von einem kleinen Verlag, der kurze Zeit später eingegangen ist, hat auch geschrieben, dass es keine richtige Einheit bildet, und man das Gefühl hätte, dass der Held in den unterschiedlichen Episoden unterschiedlich alt wäre. Aber sie fände den Ton sehr gelungen, irgendwie witzig und süß naiv, was nur die wenigsten hinbekommen. Das hat sie geschrieben. Da habe ich mich sehr gefreut. Süß naiv fand ich super.

Hast du dann weiter an der Geschichte gearbeitet?

Ich habe es versucht. Aber ich war ein bisschen gelähmt durch mein Germanistik/Anglistik-Studium. Ich hatte das Gefühl, es war da sogar ein bisschen verpönt, selber zu schreiben – so nach dem Motto: Wir lesen doch alle Goethe und Schiller und Shakespeare, da wissen wir ja, dass nur die ganz große Literatur zählt. Außerdem hatte ich zeitgleich schon Ideen für das, woraus dann mein Kabarettprogramm entstanden ist, und dann habe ich das weiterverfolgt. Ich wollte das eigentlich parallel machen, aber man schafft ja nicht alles. Ich habe ein Bühnenprogramm entwickelt und das literarische Schreiben, das Schreiben von Erzählungen, komplett aufgehört. Aber es gab auch eine Stimme in mir, die sagte: Du drückst dich vor dem, was du eigentlich wolltest. Ich würde aber sagen, es hat mir auch gut getan, alleine auf die Bühne zu gehen und alleine einen ganzen Abend vor fünfzig oder hundert Leuten aufzutreten. Ich habe das erst in einem Studententheater gemacht und dann auf einer Kabarettbühne.Weil das in den Studentenkreisen so gut ankam, dachte ich: Das kann was werden und damit kann ich professionell durchstarten. Deshalb habe ich mich parallel zum Referendariat bei Nachwuchs-Kabarettwettbewerben beworben. Ich habe an relativ vielen Kabarettwettbewerben teilgenommen und hatte auch professionelle Auftritte in verschiedenen Städten. Ich bin relativ häufig auf die Klappe gefallen, weil mein Programm aus absurden Geschichten mit erfundenen Charakteren bestand, und die, die in eine Kabarettveranstaltung gehen, erwarten eher Witze über das, was in der Tagesschau kommt. Ich habe oft ganz verständnisloses Publikum gehabt, und ich konnte froh sein, vorher die Auftritte im Studententheater gehabt zu haben, weil ich so wusste, dass es wirken kann. Das braucht man dann tatsächlich auch: Positive Erfahrungen im Rückhalt, um von Misserfolgen nicht völlig aus der Bahn geworfen zu werden. Es ist eine harte Schule, anderthalb Stunden vor Leuten Witze zu machen, die überhaupt nicht lachen und einen nur verständnislos angucken. Manchmal lief es auch gut, so war es ja nicht, es hat Interesse hervorgerufen, aber es hat auf den Profi-Bühnen meist nicht richtig gezündet. Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich komme damit nicht weiter. Als ich mit dem Programm angefangen habe, war ich dreiundzwanzig, den ersten abendfüllenden Auftritt hatte ich mit fünfundzwanzig und mit dreißig habe ich wieder damit aufgehört. Es hatte sich für mich totgelaufen, und ich konnte irgendwann auch keine neuen Texte mehr schreiben. Ich war verkrampft. Ich hatte soviel gehört: Du musst das soundso machen. Ich habe nur noch krampfhaft versucht, irgendwelche Pointen in die Texte zu bringen, während das am Anfang viel spielerischer gelaufen ist. Ich habe irgendwann auch das Gefühl gehabt: Vielleicht ist es auch so, dass ich gar kein Kabarettist, Kleinkünstler, Komiker bin. Ich habe festgestellt, die anderen Leute, die ich kennengelernt habe und die das auch machen, die sind anders als ich. Das waren alles Leute, die gerne auf die Bühne gehen und lustig sind und für die die Texte, die sie da sprechen, Mittel zum Zweck sind. Die Texte sind das Material, das dafür da ist, die Leute auf der Bühne zum Lachen zu bringen. Und ich habe gemerkt, dass meine Herangehensweise eigentlich andersrum ist, dass ich jemand bin, der erst schreibt und Figuren und Geschichten entwickeln will, und für den das auf die Bühne gehen gar nicht so essentiell ist.

Bist du so wieder zum literarischen Schreiben gekommen?

Genau. Mit einunddreißig Jahren habe ich versucht, einen Roman zu schreiben. Das habe ich total ungeordnet gemacht. Ich habe einfach drauflos geschrieben, in der Hoffnung, dass irgendwie ein Roman daraus entsteht. Das hat auch total Spaß gemacht, aber es wurde sehr uferlos. Ich hatte ganz viele Stränge und konnte die nicht mehr zu einem zusammenfügen. Damit habe ich mich auch bei Wettbewerben beworben, zum Beispiel beim open mike, und war ziemlich frustriert, dass die mich abgelehnt haben. Zu dieser Zeit habe ich auch Theater gespielt und kam auf die Idee, ein Hörspiel zu entwickeln und das mit den Leuten vom Theater aufzunehmen. So bin ich dann auf diese Hörspielschiene gekommen, weil ich blöderweise dachte: Ach, ein Hörspiel ans Radio zu verkaufen ist doch20140705_085542 bestimmt leichter als einen Roman zu veröffentlichen. Was völliger Quatsch ist. Beim Hörspiel ist das so, als ob man ein Buch schreibt und es gibt nur einen Verlag. Und der Verlag ist die ARD, denn WDR, NDR, das ist ja alles das gleiche Programm. Die haben mich immer abgelehnt, das passte nicht ins Programm und fertig. Bei den Hörspielen dachte ich immer, irgendwie muss das auch der Weg zum Roman sein. Nach dem zweiten Hörspiel habe ich versucht, einen Roman zu schreiben, konnte es aber irgendwie nicht. Das erzählende Schreiben ist immer näher an einem selber dran, wenn man mit einem personalen Erzähler schreibt, und ich hatte zu dieser Zeit mehr Lust, absurde Sachen zu schreiben. Da passte das mit dem Hörspiel besser. Ich habe meine Hörspiele auch bei Festivals vorgestellt und zwei Wettbewerbe gewonnen. Doch als ich das dritte Hörspiel gemacht habe, wusste ich: Ok, danach muss der Roman kommen. Das dritte Hörspiel war eine relativ lange Geschichte und dauerte neunzig Minuten. Dieses Hörspiel sollte die Brücke sein, um mit einer ähnlichen Thematik einen Roman zu schreiben. Grundlage war der Romanentwurf, den ich mit Anfang dreißig hatte liegen lassen. Ich hatte das damals ziemlich unbefriedigend gefunden, den einfach in die Schublade zu legen, weil da Stellen drin waren, die ich ziemlich gut fand. Aber ich hatte mir gesagt: Ok, ich schließe das jetzt erstmal weg und mache etwas anderes, aber irgendwann, wenn ich ein bisschen mehr Abstand gewonnen habe, dann gucke ich mir das wieder an und gucke, ob ich daraus etwas Neues stricken kann. Deswegen wusste ich nach den drei Hörspielen, dass ich daran anknüpfen wollte – was ich dann ja auch gemacht habe.

Du hast auch einige Schreibworkshops besucht. Wann hast du damit angefangen?

Ich habe tatsächlich ein bisschen intensiver mit diesen Workshops angefangen in der Phase, als ich nach dem dritten Hörspiel wieder neu zu schreiben begonnen habe. Der erste Workshop war bei Tilman Rammstedt, das war ungefähr 2010. Dann habe ich an einem Workshop bei Kristof Magnusson teilgenommen. Insgesamt waren es vier oder fünf Workshops, aber das ist auch schon wieder einige Zeit her. Und einen Workshophabe ich bei Liane Dirks gemacht, die mich dann eingeladen hat, zum Kölner Literatur-Atelier zu kommen. Da bin ich jetzt seit anderthalb Jahren.

Was war dein Antrieb, an Workshops teilzunehmen?

Ich wollte Feedback. Ich wollte richtige Schriftsteller kennenlernen. Ich wollte Kontakt haben zu anderen Leuten, die auch schreiben. Ich weiß gar nicht, ob ich so doll gedacht habe: Da lernst du was. Ich hatte eher so eine Neugierde, wie die Leute so ticken, die professionell damit zu tun haben. Sich dem Schriftstellersein ein bisschen näher fühlen und andere Schreibende kennenlernen. Einfach mal ein ganzes Wochenende mit Leuten zu tun zu haben, die schreiben, weil man damit sonst ja immer total einsam ist. Das hat sich für mich netterweise in den letzten zwei, drei Jahren total geändert. Darunter habe ich früher auch ein bisschen gelitten, weil es zwar immer leicht war, Leute kennenzulernen, die Theater spielen, aber mit dem Schreiben habe ich mich immer relativ allein gefühlt.

Was genau ist das Literatur-Atelier?

Das ist eine Gruppe, die sich seit bestimmtzwanzig Jahren in Köln trifft. Geleitet wird sie von einem Hörspielredakteur vom SWR. Früher hat er das gemeinsam mit Jo Lendle, dem Chef vom Hanser Verlag, gemacht. Und nun leitet er das Literatur-Atelier mit Liane Dirks. Es ist ein Kreis, der explizit für professionelle Schriftsteller gedacht ist, die auch schon Bücher veröffentlicht haben. Insofern hab ich mich dazwischengemogelt und bin froh, da mitzumachen. Dort habe ich zum ersten Mal das Gefühl gehabt: Oh, ich bin jetzt schon einen Schritt weiter.

Wie viele Autoren sind denn im Literatur-Atelier?

Im Emailverteiler sind fünfundzwanzig bis dreißig. Bei den Sitzungen sind immer zehn bis zwölf Leute.

Wie viele haben auch wirklich etwas veröffentlicht?

Ich bin da schon die Ausnahme. Ich glaube, es haben fast alle etwas veröffentlicht. Bei Kiepenheuer & Witsch, bei Eichborn, beim Wagenbach Verlag – aber auch bei Kinderbuchverlagen.

Wie oft trefft ihr euch?

Theoretisch einmal im Monat. Im Sommer sind zwei Monate Pause, aber dafür verbringen wir zusammen ein Wochenende in der Eifel.

Und was macht ihr genau?

Bei jedem Treffen sind zwei Texte dran, die vorher rumgeschickt wurden. Jeder Text wird eine Stunde lang besprochen. Es gibt ein Ritual: Der Autor liest einen Teil des Textes vor, dann gibt jeder ein kurzes Feedback, dann wird offen diskutiert und dann hat der Autor das Schlusswort. Es ist immer ziemlich nett und lustig.

Erhoffst du dir vom Literatur-Atelier auch Kontakte zu irgendwelchen Verlagen?

Nein. Ich hatte mir das am Anfang ein bisschen erhofft, aber im Grunde geht es darum, sich über das Schreiben auszutauschen. Und es war für mich total schön, in so einen Kreis zu kommen.

Und weil du diesen Kreis hast, nimmst du auch nicht mehr an Workshops teil?

Genau. Weil ich da das habe, was ich in den Workshops gesucht habe.

Hast du denn das Gefühl, dass du bei den Workshops etwas gelernt hast – auch ohne das erwartet zu haben?

Ich habe dort schon etwas gelernt, allein durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Text und dadurch, dass man auch bei anderen Texten sieht: Das funktioniert oder stimmt irgendwie nicht, das ist zu kompliziert oder langweilig. Ich glaube, ich habe gelernt, wann man beim Schreiben die Notbremse ziehen muss. Ich merke schneller: Nee, das ist jetzt ein Weg, den ich nicht verfolgen darf, weil ich dann etwas schreibe, was vielleicht schön ist, was aber in die Geschichte gar nicht reinpasst. Nicht mehr so drauflos zu20140705_085341 schreiben wie bei dem ersten Romanversuch, sondern solche Tipps zu befolgen wie den von Tilman Rammstedt: Schreiben Sie eine Geschichte, kein Buch! Den fand ich deswegen gut, weil man tatsächlich erstmal denkt: Ich schreibe ein Buch. „Ich schreibe ein Buch“ bedeutet, ich packe jetzt alles, was mich beschäftigt, was in mir ist, in diese eine Geschichte und damit überfrachtet man das völlig, statt zu sagen: Naja, ich habe ganz viel in mir, aber ich schreibe jetzt eine Geschichte und in diese Geschichte gehören nur die und die Sachen und alles andere muss raus. Diese etwas handwerklichere Denkweise, die lernt man schon, wenn man in solchen Workshops ist. Das ist auch etwas total Anderes als Literaturseminare an der Uni. Bei den literaturwissenschaftlichen Uniseminaren geht es immer sofort um das Interpretieren und um die Bedeutung dahinter. Bei den Schreibworkshops, wenn man also von der Seite des Machens herangeht, ist der Zugang ein viel pragmatischerer, auch ein bisschen spielerischer. Und das ist erstmal gut, dass man gar nicht so sehr an die Bedeutung denkt, die das Ganze hat, sondern erstmal an die ganz unmittelbare Wirkung. Ich glaube ja auch, die Bedeutung, die kommt von ganz alleine – vielleicht nicht bei jedem Autor. Aber wenn ich mir Gedanken über die Form und das „wie“ mache, dann ergeben sich die Dinge, die mir an literarischem Mehrwert wichtig sind, von alleine – ok, nicht ganz von alleine. Man muss darüber schon immer wieder nachdenken, aber ich habe einen pragmatischeren Zugang gelernt.

Nimmst du an Literaturwettbewerben teil?

Nein, das mache ich gar nicht. Es gibt auch nicht so viele Wettbewerbe, an denen ich teilnehmen kann. Entweder sie haben eine Altersgrenze, wie open mike mit fünfunddreißig, oder sie wollen einen regionalen Bezug zu Ostwestfalen haben oder sowas, das interessiert mich irgendwie nicht. Oder sie sind zu einem bestimmten Thema. Dann denke ich: Ach, soll ich jetzt einen Monat über irgend so ein doofes Thema zu einem Wettbewerb schreiben oder schreibe ich lieber an meinem Roman weiter? Ich glaube, ich kriege sogar den Uschtrin-Newsletter gar nicht mehr. Ich habe es ein bisschen aus den Augen verloren, weil man ja auch viel zu tun hat im Leben.

Du hast also noch keinen Literaturwettbewerb gewonnen und nichts veröffentlicht?

Das muss man wohl knallhart so sagen. Ich hab wie gesagt zwei Hörspielwettbewerbe gewonnen, aber die Hörspiele sind trotzdem nur als CDs im Selbstverlag rausgekommen. In dem Sinne sind sie auch unveröffentlicht. Sie sind beim „Leipziger Hörspiel-Sommer“ gelaufen und auf nichtkommerziellen Lokalradios, wo es kein Geld gibt, was keiner hört und wo jeder genommen wird. Und wir haben die Hörspiele natürlich live aufgeführt

Und nun die Fragen, die nicht fehlen dürfen: Warum schreibst du? Und für wen?

Ich habe mal einen Text gelesen von Juli Zeh über die meistgehassten Fragen von Autoren, die bei Lesungen kommen. „Warum schreiben Sie?“ ist die schlimmste Frage. Die anderen beiden waren: „Wie viel Prozent von Ihnen steckt in Ihren Figuren?“ und: „Wo nehmen Sie Ihre Ideen her?“ Sie schreibt da so ungefähr:„Aber die unerträglichste Frage ist ja wohl: Warum schreiben Sie? Warum leben, atmen, laufen, lieben wir? Warum stellen wir Warum-Fragen?“

Ist für dich denn schreiben so etwas wie atmen und laufen und essen und trinken?

Ich würde tatsächlich sagen, dass es ein Teil von mir ist. Ich würde so weit gehen, zu behaupten, dass es etwas ist, was ich mir nicht ausgesucht habe. Es ist etwas, das ich schon immer irgendwie gemacht habe. Ich habe immer irgendwas zur Realität dazu erfunden. Es hat mal Phasen gegeben, in denen ich ein halbes Jahr nichts geschrieben habe. Ich merke aber, dass das etwas ist, das mich immer irgendwie begleitet: Mir irgendwelche Geschichten und Sachen auszudenken, die mich eine Zeit lang durchs Leben begleiten. Und es ist nun einmal total mit dem Wunsch verbunden, dass das an die Öffentlichkeit kommt. Wobei ich mich aber auch manchmal frage: Ist das jetzt so ein infantiler Kindheitstraum „Ich will berühmt werden“? Aber ich glaube, es ist auch einfach etwas, das in der Natur der Sache liegt. Man schreibt einfach, um gelesen zu werden.

Da wären wir bei der „Für wen“-Frage.

Ich schreibe nicht für mich selber, das wäre dann ja ein Tagebuch. Schreiben ist Kommunikation. Ich habe immer einen Adressaten vor Augen. Und das Besondere beim Schreiben ist ja, warum es auch viel Arbeit macht und Anstrengung kostet, dass es verbunden ist mit dem Wunsch, etwas zu schaffen, das außerhalb von mir selber existiert, also etwas, das jemand sieht und das jemanden anspricht und das für jemanden lebendig wird, der mich überhaupt nicht kennt. Dass das Ganze Leben hat und Leute anspricht aus sich selbst heraus. Deswegen kann es auch nicht befriedigend sein, zu sagen: Ich verteil das halt an meine Freunde. Denn die lesen das, weil sie meine Freunde sind. Da weiß man dann nie: Wirkt der Text an sich? Und es gibt eigentlich nichts Tolleres, als mitzubekommen, dass sich jemand,der mich überhaupt nicht kennt, von dem, was ich geschrieben habe, angesprochen gefühlt hat. Und das ist das, worum es geht. Ich habe keine bestimmte Zielgruppe vor Augen, ich versuche etwas zu schreiben, was ich selber lesen möchte. Ich stelle mir quasi mich selbst als Leser vor.

Wenn du dir irgendwas wünschen könntest, was du beim Leser mit deinen Texten auslöst, was wäre das?

Erstmal Spaß. Die Leute sollen Freude daran haben. Sie sollen sich reingezogen fühlen und gerne damit Zeit verbringen. Ich habe mal in einem Interviewbuch mit Marcel Reich-Ranicki gelesen, dass Thomas Mann auf die Frage, was er mit seinem Schreiben auslösen will, per Telegramm geantwortet hat: Ich sage einfach Freude. Das finde ich eine sehr schöne Antwort. Ich will ja nicht missionarisch sein, aber ich kann sagen, was es über den Spaß und die Lebensfreude hinaus sein könnte. Ich kann sagen, was ich an Büchern toll finde. Man will immer das erreichen, was man selbst auch schätzt. Die Bücher, die mich besonders beeindruckt haben, waren immer die, die so eine besondere Reibung in mir erzeugt haben. Ich mag es immer total gerne, wenn in einem Buch eine Person im Mittelpunkt steht, die eine eigene Wahrnehmungsweise hat, und wenn ich die verstehen kann und gleichzeitig aber auch nicht verstehen kann, beziehungsweise, wenn ich mich daran reibe. Also, wenn es so eine Mischung gibt aus Sympathie und Widerspr20140705_085434uch, weil ich dann das Gefühl habe, das Ganze bewegt und verändert was in mir. Zum Beispiel: Klaus Mann „Mephisto“. Man wird ganz stark mit der Frage konfrontiert: Drittes Reich – Wie hätte man sich selber verhalten? Es heißt oft, es wäre als Abrechnung geschrieben worden, vielleicht wurde es das sogar, aber ich finde, dann hat der Autor, ohne es zu wollen, viel mehr geschafft. Ich finde diesen Helden, diese Gustav Gründgens – Figur, total menschlich und total nah an unserer Zeit. Man weiß die ganze Zeit, dass das kein Arsch ist, er ist ein sehr eitler aber auch ein gewissenhafter Mensch. Man ist an ganz vielen Stellen von ihm eingenommen und deswegen berührt es einen umso mehr, wenn er korrupt wird. Und weil man auch die Gründe, aus denen er das wird, ganz schön gut verstehen kann, weil geschildert wird, wie er Angst hat und wie er hilflos und total überfordert ist. Ich wurde bei der Lektüre mit meinen eigenen Schwächen konfrontiert. Oder der Roman „Liebesleben“ von Zeruya Shalev: Eine Frau, die infantile Züge hat, fängt etwas mit einem alten Sack an, weil sie eigentlich ein Kind sein möchte. Das ist fast so wie eine Flucht in den Mutterleib. Da sind so ganz tolle Sätze drin wie: „Ich wollte weg von Briefkästen, die gefüllt und wieder geleert werden, von Zimmern, die gereinigt und verdreckt werden.“ Und man kann das total nachvollziehen, aber gleichzeitig möchte man eingreifen und ihr sagen: Mach das bloß nicht. Das hat mich richtig aufgewühlt. Und ein neuerer deutscher Roman, den ich super fand: „Der Hals der Giraffe“ von Judith Schalansky über eine fünfzigjährige Lehrerin. Die ist todunsympathisch, eine ganz schreckliche Figur, die ihre Schüler fertigmacht, die sagt: Selektion – die Härtesten kommen durch, da können sich meine Schüler gleich dran gewöhnen. Aber man merkt, dass das Selbsthass ist, dass sie selber etwas ganz Schlimmes erlebt haben muss, was man nie erfährt. Das sind Werke, die bei mir total nachwirken. Aber ich finde auch Sven Regener super.

Wäre für dich Eigenverlag oder Selfpublishing eine Option?

Nö. Es gibt wahrscheinlich zwei Möglichkeiten: Entweder du ruinierst deinen Ruf, weil es als dilettantisch gilt, oder es kann sein, wenn man die ganz große Nummer startet und viel verkauft, dass man darüber an einen Verlag kommt. Ich glaube das bei meinen Sachen nicht. Ich glaube nicht, dass das da viele Leute kaufen würden. Und ich will meine Sachen auch nicht in irgendein Internetforum stellen, wo das dann irgendwelche Freaks lesen und blöde Kommentare dazu abgeben. Ich halte auch nichts davon, bei „Books on Demand“ ein Buch rauszubringen, nur um dann ein Buch zu haben. Dann kann ich auch sagen: Ich kopiere das im Copyshop und gebe das meinen zehn Freunden, die das lesen wollen. Man muss auch irgendwann dazu stehen: Ich will, dass mein Buch im Buchladen steht, dass es ernsthaft literarisch wahrgenommen wird, mit Arbeit, mit Lektor, mit Rezensionen. Ich möchte eine gewisse professionelle Anerkennung haben.

Nochmal zu deinem Roman. Wann hast du ihn fertiggestellt?

Vor zwei Jahren.

Was waren deine nächsten Schritte?

Ich habe ihn an dreißig Agenturen geschickt. Ich bin nicht direkt an Verlage gegangen, weil ich immer gehört habe: Kann man vergessen, liest eh nur ein Praktikant und die Chance ist eins zu tausend. Wobei ich auch immer mal wieder von Gegenbeispielen gehört habe. Aber ich habe gedacht: Ok, ich nehme erstmal Agenturen, und wenn es die Agenturen alle ablehnen, kann ich es immer noch direkt an die Verlage schicken. Die Agenturen haben es alle abgelehnt. Übrigens nur drei Agenturen überhaupt mit einer Begründung, mit einem gewissen Wohlwollen. Dann gab es den Zufall, dass mir jemand erzählt hat, dass die Leute einer Plattenfirma, die auch Hörbücher und Comedy-CDs herausbringt, Autoren und ihre Romane an Verlage vermitteln würden. Denen habe ich mein Manuskript geschickt. Nach ein paar Monaten haben sie mir geantwortet und dann versucht, mein Buch an Verlage zu bringen. Vor zwei Wochen habe ich erfahren, dass das wohl nicht geklappt hat. Jetzt haben sie den Entwurf meines zweiten Romans vorliegen, den ich noch nicht fertiggeschrieben habe, und ich warte auf eine Antwort von ihnen, ob sie das vermitteln wollen.

Was hatte dir die Agentur damals in Aussicht gestellt?

Die haben die ersten dreißig Seiten einigen Lektoren auf der Frankfurter Buchmesse gegeben und sagten mir, dass die das gut fanden. Und dann haben sie gesagt, dass sie das gesamte Manuskript an vier Verlage geschickt haben. Sie haben keine Prognose über Wahrscheinlichkeit abgegeben. Sie haben weder gesagt: Klappt vielleicht. Noch: Kriegen wir bestimmt durch.

Wie motivierst du dich gerade, weiterzumachen?

Ich fürchte, ich bin schon ein bisschen demotiviert, weil ich mit der neuen Geschichte nicht so voran komme wie mit der ersten. Ich bin seit einem Jahr relativ kontinuierlich auf Seite sechzig. Das ist ja schön, wenn der Rest sich verbessert, aber so richtig voran komme ich nicht damit. Außerdem überlege ich, ob ich mich mit dem neuen Romanentwurf nochmal an die drei Agenturen wenden soll, die damals meinem ersten Roman gegenüber ein gewisses Wohlwollen geäußert haben. Es war zum Beispiel eine Frau dabei von einer richtig großen Agentur, die mir sofort am nächsten Tag geschrieben hat: „Ich schaue es mir an und melde mich wieder.“ Und dann hat sie zwei Wochen später geschrieben: „Vielen Dank für Ihr Manuskript. Die Situationskomik und der ironische Ton haben mir sehr gut gefallen, aber ich finde es sprachlich nicht eigenständig genug, deswegen habe ich mich dagegen entschieden.“ Das hat mich natürlich sehr gekränkt, aber es hat mich deswegen besonders gekränkt, weil ich gemerkt habe: Das ist genau die, die ich haben will. Die ist offenbar total nett, die ist gewissenhaft, die antwortet schnell, die schreibt auch die Absage freundlich, die hat Sachen zu schätzen gewusst, die will man für sich gewinnen.

Zweifelst du manchmal an deinem Können?

Ja. Im Moment gerade nicht, aber das ist immer wieder so. Ich hatte so eine Phase bei dem Kabarettprogramm und auch bei den Hörspielen. Da war dann diese Stimme in mir, die sagte: Vielleicht hast du ja auch einfach ne Macke, es muss ja auch irgendwie an dir liegen. Und als die ganzen Ablehnungen von den Agenturen kamen, hatte ich das auch. Dann kamen die negativen Gedanken: Du hast eigentlich noch nie einen richtigen Erfolg gehabt, also immer dann, wenn es darum geht, dass mal jemand etwas investiert, bist du gescheitert. Deshalb war ich sehr froh, dass das mit den Agentinnen von der Plattenfirma geklappt hat. Das war eigentlich das erste Mal, dass mir jemand vom Fach wirklich einen Marktwert diagnostiziert hat, und dass jemand, der das professionell macht, richtige Arbeitszeit investiert hat. Die gehen natürlich kein großes Risiko ein, aber ich wusste, die haben schon acht bis zehn Arbeitsstunden in mich investiert, und wenn sie nicht glauben würden, dass das wirklich zu Kiepenheuer & Witsch kommen könnte, dann hätten sie das nicht getan. Und genau das ist dann auch so unbefriedigend, wenn du denkst, du hast schon das Gütesiegel, du kannst dabei sein, man traut dir zu, in der Buchhandlung zu stehen und dann klappt es nicht aus Gründen, die man nicht beeinflussen kann. Aber diesen Zweifel, dass ich eigentlich nicht begabt bin, den habe ich nicht mehr. Dafür habe ich schon zu viel gemacht und zu viel positive Rückmeldungen bekommen.

Du zweifelst also nicht an deinem Schreiben?

Ich zweifle natürlich daran, wie gut es tatsächlich ist. Ich zweifle nicht so sehr an meinem Grundtalent. Was ich nicht habe, ist das Gespür für Zeitgeist und was gerade gut ankommt. Damit muss ich irgendwie leben. Zum Thema Zweifel habe ich mal ein Superzitat gehört. Das war in einer Fernsehdokumentation über Kleist, der gesagt oder geschrieben haben soll: „Die Hölle gab mir meine halben Talente. Der Himmel gibt nur ganze Talente oder gar keine.“ Das trifft am besten meine Zweifel, die ich habe. Wenn ich Misserfolge hatte, dachte ich ganz oft: Ich kann irgendwas, aber es ist zu wenig. Fünfzig Prozent fehlen anscheinend, und das ist echt die Hölle. Dieser Zweifel, dass ich nur halbe Talente habe, der kommt tatsächlich immer wieder.

Stell dir vor, du bist nochmal zwanzig Jahre alt. Wäre dann ein Literaturinstitut wie in Leipzig eine Option für dich?

Ja, das ist auch so ein wunder Punkt. Dass man immer denkt, was würde man machen, wenn man noch jung wäre und so weiter. Leipzig oder Hildesheim?! Würde ich sofort machen. Ich stelle mir das toll vor, das wäre doch ein Wunschtraum, den ganzen Tag in einer Schreibschule. Vielleicht sind die alle zum Kotzen da, keine Ahnung, aber erstmal finde ich das gut.

Du hast ja bereits einige Debütautoren persönlich kennengelernt. Erkennst du Gemeinsamkeiten?

Es ist richtig gut, Kontakt zu anderen Menschen zu haben, die auch schreiben, mit denen man sich austauschen kann, auch über die Wunden. Das Debüt ist für mich ja ein Grundthema, das bei mir einen wunden Punkt erwischt. Und ich habe mich gefragt, woran das liegt. Das Thema Debüt ist für mich etwas relativ Verletzendes, weil … wo fange ich an? Da gibt es all diese Mythen. Man hat als Autor das Gefühl, wenn ich es schaffe, ein Buch zu veröffentlichen, dann fängt mit diesem Buch mein Leben, meine Existenz als Autor erst an. Solange ich kein Buch veröffentlicht habe, bin ich quasi Embryo, ich bin noch gar nicht auf die Welt gekommen. Dann kommt mein Debüt und dann bin ich ein Schriftsteller. Dieses Debüt hat fast eine religiöse Bedeutung, wahrscheinlich weil ein Buch zu veröffentlichen Unsterblichkeit suggeriert.Und damit einher geht die Angst, zu alt zu sein. In jedem Buch steht immer drin, wie alt die Leute sind, und wenn jetzt in einem Romandebüt drinsteht, der Autor ist schon fünfundvierzig, dann kann man es ja auch gleich lassen, denn das ist dann ja total peinlich. Das ist so wie ewiger Student und mit fünfzig erst Examen gemacht – entweder man war zu doof oder man hat nur rumgeschludert. Solche irrationalen, wahrscheinlich auch ziemlich narzisstischen Gedanken habe ich tatsächlich im Kopf. Vielleicht auch, weil ich ja schon so wahnsinnig lange schreibe. Gleichzeitig habe ich im Kopf, dass es aber auch ungerecht ist, weil wenn jetzt mein literarisches Debüt rauskäme, es ja irgendwie gar nicht mein Debüt ist. Ich sehe das Ganze in einer 20140705_085540Kette zusammen mit den Dingen, die ich schon geschrieben habe. Ich bin ja eigentlich mitten im Schreiben drin. Brigitte Kronauer hat mal irgendwo geschrieben: „Ich wollte gar nicht berühmt werden, ich wollte mit meinem Schreiben einen Fuß in der Realität haben.“ Genau das kenne ich. Wenn man nur so für sich schreibt, dann kommt man sich auch immer vor wie ein Spinner. Deswegen fand ich das auch so gut, als wir mit den Hörspielen live aufgetreten sind. Dann sprachen mich Kollegen in der Schule an: „Ach Sie waren doch neulich in der Zeitung.“ Das war endlich mal eine richtig reale Sache, auch wenn wir nur vor zwanzig Leuten in der Pizzeria aufgetreten sind. Scheißegal, das existierte! Und das Gefühl hätte ich bei „Books on demand“ eben nicht. Und dann glaube ich wieder, dass es vollkommen egal ist, wie alt ich bin. Selbst wenn ich erst mit Mitte fünfzig ein Buch veröffentlichen würde, in dem Moment, wo der Erfolg da ist, oder das Erfolgserlebnis, ist mir das wahrscheinlich scheißegal. Dann freut man sich, dass man Erfolg hat.Trotzdem ist es natürlich so, dass auch im Literaturgenre mit Jugend geworben wird – Helene Hegemann, junge Schnitte, die schreibt, wie sie Sperma in den Haaren hat. Das funktioniert schon so ähnlich wie bei DSDS. Ich bin nun mal keine fünfundzwanzig mehr, und deshalb sicherlich schwerer zu vermarkten.

Gehen wir nochmal zurück zum Anfang – Erkennst du in deinem Schreiben noch irgendwas von dem Achtzehnjährigen? Also von dem, wie und was du damals geschrieben hast?

Ja. Als ich mit Ende dreißig wieder mit dem Prosaschreiben angefangen habe, habe ich das mal im Kopf mit den Sachen verglichen, die ich mit achtzehn geschrieben habe. Ich hatte das Gefühl, ich habe mich sprachlich total erweitert, ich habe sprachlich viel mehr Möglichkeiten, ich bin reflektierter und flüssiger, wäre ja auch schlimm, wenn nicht, aber ich habe auch Elemente der Sachen, die ich mit achtzehn geschrieben habe, wiedererkannt. Ich glaube, es ist sogar dieses süß naive. Dass ich Gedankengänge beschreibe, die irgendwie in sich schlüssig sind, bei denen der Leser aber denkt: Moment, das ist doch ganz anders als das, was du dir da zusammenspinnst. Diese personale Erzählhaltung mit einer ironischen Komponente. Die Prosatexte, die ich schreibe, sind immer ganz schön autobiographisch. Auch dann, wenn die Handlung und die Lebensumstände rein erfunden sind, muss ich zugeben, dass ich selber merke, eigentlich ist das immer die gleiche Figur. Das ist immer derselbe, und das bin dann letztlich ich.

Ein Gedanke zu “[Interview] Vor dem Debüt – „Die im Dunkeln sieht man nicht“

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