„Wenn Sie überhaupt eine Chance haben wollen, dann müssen Sie sich von den anderen unterscheiden“ (S. 7) – diesen Rat gibt die Verlagsfrau der Ich-Erzählerin im Prolog zum Roman. Und? − würde der Neugierige nun fragen – unterscheidet sie sich? Darauf ist kurz mit dem Titel eines Werkes von Thomas Bernhard zu antworten: „Ja“.
Circa eine Woche lang (wahrscheinlich von Freitag bis Donnerstagmorgen schwimmt der Leser mit dem Bewusstseinsstrom einer angehenden namenlosen Schriftstellerin. Obwohl sie von einer Mittlerin, Martha Katharina Rodriguez, ermutigt wird, zweifelt sie stets an ihrer Fähigkeit, einen Roman schreiben zu können. Der Leser begleitet die Ich-Erzählerin in ihrem Alltag, wie sie arbeitet, mit der Mittlerin spricht, isst oder ihre Freizeit verbringt.
Doch der Leser sei gewarnt: wer nach einem gewöhnlichen Plot sucht, den die Ich-Erzählerin „in deutlichen Worten als Fehlinterpretation der aristotelischen Poetik auf den buchstäblichen Scheiterhaufen geworfen“ (S. 66) hatte, ist hier fehl am Platz. Und dennoch gibt es einen Plot. Dieses spielerische Verdrehen und Umdrehen ist charakteristisch für den ganzen Roman, der nicht nur ein breites literaturhistorisches und –wissenschaftliches Wissen der Autorin vorführt, sondern auch gekonnt u.a. mit der Theorie der Autorschaft oder der Psychoanalyse spielt.
„Was war nur mit mir los? […] War das nun das, was man im Deutschunterricht als autodiegetischen Erzähler bezeichnete, oder hatten wir es hier nicht vielmehr mit einer intradiegetischen Erzählung zu tun? Und stellte diese Frage nun dasselbe Subjekt wie das, was die Geschichte von der Bäckerei erzählt hatte? […] Wie aber nennt man es, wenn Autor, Erzähler und Hauptfigur eigentlich dasselbe Subjekt sind, eines, das sich vielleicht hin und wieder zu trennen und zu spalten vermag? Und was macht man, wenn dieses dreigliedrige Subjekt keine Ahnung hat, was im nun Folgenden geschehen wird, was aus dieser Geschichte erwachsen und was ihm, dem Subjekt, im Folgenden zustoßen wird?“ (S. 159).
Auch Freudianer und Lacanianer kommen auf ihre Kosten, nicht nur aufgrund der zahlreichen Anspielungen auf die homosexuelle Faszination der Erzählerin gegenüber der Mittlerin, sondern auch dank des sorgfältig gewählten Vokabulars des Romans, in dem anstelle des Bewusstseins und des Vor- oder Unbewussten, von „Spiegelsaal“ (S. 44) und „Keller“ (S. 67) die Rede ist:
„Denn der Spiegelsaal besaß, wie ich seit meinem ersten Tag im Kindergarten wusste, auch einen Keller, der sich in dem Bereich unter dem Zwerchfell befand und in dem sich allerlei dunkle Gestalten in finsteren Kleidern herumtrieben, die dann und wann meinten, über eine schmale Treppe in die Kehle hinaufsteigen zu müssen, um dort eine Enge zu erzeugen, die mir den Atem nahm“ (S. 67).
Sprachlich befindet sich dieser Roman auf einem sehr hohen Niveau, was für die an eine recht einfache Syntax und begrenzten Wortschatz der Pop-Romane gewöhnten Leser eine echte Herausforderung darstellen mag und im gleichen Zuge dem anspruchsvollen Leser eine angenehme Abwechslung bietet. Hierzu verschont die Erzählerin ihre Leser von in vielen Gegenwartsromanen inflationär benutzten Vulgarismen, indem beispielsweise das Wort „ficken“ durch „bumsen“ ersetzt wird, was die Ich-Erzählerin sprachkritisch und reflektiert, und irgendwie sympathisch, wie folgt motiviert:
„Wir bumsten also ein paar Jahre lang, und ich habe dieses Wort nicht zufällig gewählt, sondern aus Stolz und Freude darüber, dass ich mich endlich traue, ein solch schlüpfriges, ja anstößiges Vokabular in den Mund zu nehmen, auch wenn es diesen Mund sogleich wieder in einem Wort verlassen sollte“ (S. 142f.).
Nun ist Dienstagnachmittag. »Jetzt [haben] alle Beteiligten, auch der Leser, ein bisschen Bammel vor morgen, wenn ich, als herausragendes Beispiel eines in sittlicher Hinsicht durch und durch mittleren Charakters, die Mittlerin wiedersehen werde, denn niemand, wirklich niemand, kann bislang absehen, wie geschickt oder ungeschickt ich mich dabei anstellen werde« (S. 161). Eben der letzte Nachmittag scheint für den Leser genauso lang zu sein (über 30 Seiten!) wie für die Ich-Erzählerin. Doch der Leser wartet sehnsüchtig auf den Mittwoch vor allem, um dem langen Nachdenken à la Bridget Jones über die Übergewichts-Anamnese zu entkommen… Und eben auch darin ist die Erzählkunst der Autorin zu sehen, die der Ich-Erzählerin gleichende Gefühle der Ungeduld und Erwartungen im Leser zu wecken vermag.
Dies und noch viel mehr macht diesen Roman zu einem Schmaus für Literaturwissenschaftler und Literaturliebhaber. Doch insbesondere werden Fans von Thomas Bernhard einen großen Gefallen an diesem Roman finden, in dem es von Anspielungen und Interpretationen seiner Werke wimmelt.
Doch was einerseits die Vorzüge dieses Romans ausmacht, kann andererseits bemängelt werden, da er zuweilen weniger an eine Freizeitlektüre und mehr an ein Seminar zur deutschen Literatur erinnert, als hätte sich der Roman den Ansatz „prodesse et delectare“ zu seinem Programm gemacht. Aber kein Seminar ohne Hausaufgaben: Es ist als Vorbereitung zu empfehlen, zumindest den Roman „Holzfällen. Eine Erregung“ von Thomas Bernhard zur Kenntnis zu nehmen, zu dem Trompeters Roman zahlreiche intertextuelle Bezüge herstellt.
Abschließend ist anzumerken, dass dieser sprachlich und intellektuell herausfordernde Roman eine seit einiger Zeit offen gebliebene Lücke schließt.
[Julia Trompeter – Die Mittlerin
216 Seiten. Gebunden. € 19,95 €[A] 20,60]
Lesens- und Sehenswertes:
Perlentaucher über „die Mittlerin“
Eine „andere“ Internetseite der Autorin
Auftakt:
„Komme was wolle“, hatte die Verlagsfrau gesagt, „Sie brauchen einen Plot.“
Julia Trompeter wurde 1980 in Siegburg geboren. Sie studierte Philosophie, Germanistik und Klassische Literaturwissenschaft in Köln und promovierte in Berlin und Bochum. Seit 2009 tritt sie in dem performativen Projekt Sprechduette zusammen mit Xaver Römer auf. 2010 war sie Finalistin des open mike, 2012 erhielt sie das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 2013 für ihren Debütroman eine Förderung der Kunststiftung NRW und 2014 den Förderpreis des Landes NRW für junge Künstlerinnen und Künstler.
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