Was passiert mit uns, wenn ein guter Freund stirbt? Was bewirken Schuldgefühle? Wie ist es, einen geliebten Menschen mit dem man ein Unglück teilt, nach vielen Jahren wieder zu sehen?
Monika Zeiner hat einen Debütroman geschrieben, der sich mit Fragen wie diesen befasst und dadurch auf sehr eindringliche Weise von Liebe, Tod, Identität, Verlust, Abschied und insbesondere Freundschaft erzählt. Es geht darüber hinaus auch um Musik, vor allem Klavier und Jazz, Träume und um das Erwachsenwerden an der Seite von Freunden. Die Schauplätze Berlin und Italien spielen in dem Roman eine nicht unerhebliche Rolle. Die Geschichte lebt jedoch von ihren Figuren, die einem sehr nahe kommen: Betty Morgenthal, das Mädchen, das in die bestehende Männerfreundschaft zwischen Tom und Marc gerät. Tom und Marc, die man sich nur im Zweiergespann denken kann, seitdem sie sich in einem Mietwagen kennenlernten, die alles gemeinsam machen, dann auch mit Betty; wohnen, leben, Musik, bis Marc verunglückt.
Zehn Jahre nach seinem Tod tritt Tom, der Jazzpianist, mit seiner Band in Neapel auf, und trifft dort wieder auf Betty, die mittlerweile in Italien verheiratet ist und dort als Ärztin arbeitet.
„Wenn man jung ist, dann ist das Leben ein Gewirr von tausend Möglichkeiten, ein Gewimmel von tausend Wegen, einer vielversprechender als der andere, und du denkst, dass du sie alle gehen kannst. Wenn dir einer nicht gefällt, kehrst du um und suchst dir einen anderen, alles ist hell und freundlich. Alle Türen sind offen, dahinter ist Licht. Je älter du wirst, desto mehr Türen fallen zu, Wege verschwinden, sind einfach nicht mehr da, oder du findest sie nicht wieder, wie im Märchen, wo plötzlich meterhohe Dornbüsche wuchern.“
Welche Entscheidungen man im Leben trifft, welche Menschen einen prägen, was man in Erinnerung behält… das ist es, was uns ausmacht und davon erzählt Monika Zeiner. Es geht also um die ganz großen Themen und Lebensfragen. Manch einem mag das, besonders im Debüt, überfrachtet oder langatmig erscheinen. Die Sprachbilder, die die Autorin schafft, fallen stellenweise tatsächlich ein wenig aus der Rolle, weil sie zu überambitioniert daherkommen:
„Auf dem Modeschmuckcollier des Lebens“ oder „das blauschwarze Haar der Gabel“ (hat irgendjemand diese Metapher verstanden?). Vielleicht sollte man tatsächlich eine kleine Schwäche fürs Pathetische haben, oder zumindest gekonnt darüber hinweg lesen können, um das Buch zu mögen. Ich gebe zu, ich mag Stellen wie diese:
„Andererseits wusste sie, dass das Schicksal nichts ausrechnet, weil das Schicksal gar nicht rechnen kann, und es nur der Mensch ist, der rechnet, weil er die Unordnung nicht erträgt und deshalb im Nachhinein alles zurechtsortiert, in eine scheinbare Logik bringt, indem er die Ereignisse in der großen Schachtel der Erinnerung sammelt und später auf eine Kette fädelt (…)“.
„Der Tod ist das letzte Blatt im Bilderbuch eines uralten Kindes.“
„Alles, dieses trostlose Wetter mit seiner Kälte, die Regennässe, die von Wind zerblasen durch die dunklen Straßen stäubte, der Autolärm auf spritzendem Asphalt, das Donnern der U-Bahnen in ihren zugigen Tunneln, die fahlen Gesichter hastender, weil frierender Menschen, all das, was den November in Berlin ausmacht, erschien ihm freundlich, erhebend, mit einem unsichtbaren Hintergrund, einem höheren, schöneren Sinn unterlegt, einem wunderbaren, aber zugegeben, etwas unpassenden Soundtrack aus Violinen und Celli.“
Dennoch finde ich „Die Ordnung der Sterne über Como“ gelungen. Mich haben die über 600 Seiten nicht ermüdet oder gelangweilt (allerdings bin ich persönlich wohl was Seitenzahlen betrifft, nach David Foster Wallaces „Unendlicher Spaß“ abgehärtet), im Gegenteil; eher regten sie mich zu vielschichtigen Gedanken über die verschiedenen Spielarten und Gefühlswelten der Liebe an.
Spielarten der Liebe
Vielleicht beschäftigt sich Monika Zeiner in ihrem Roman deshalb so ausgiebig mit dem Thema Liebe, weil sie über Liebesmelancholie im Mittelalter promovierte (der eindrucksvolle Titel: „Der Blick der Liebenden und das Auge des Geistes. Die Bedeutung der Melancholie für den Diskurswandel in der Scuola Siciliana und im Dolce Stil Nuovo“, recherchiert von Bersarin). Und letztlich ist es natürlich eine Thematik, die uns alle angeht.
„Die Ehe ist überhaupt eine Dummheit, weil die Liebe immer ein Verfallsdatum hat, das nur leider bei manchen Beziehungen sehr klein gedruckt ist, aber es ist immer da.“
Es geht um die variierenden Schwellen zwischen Freundschaft und Liebe in diesem Roman. Ab wann spricht man von Liebe, was tut man gegen aufkeimende Gefühle, wenn man weiß: sie dürfen nicht sein? Der Leser nimmt hier detailliert an Toms Zwiespalt teil.
Wie frei kann eine Liebesbeziehung sein? Was, wenn sich einer von beiden zuviel Freiheiten herausnimmt? Es ist auffällig, dass die Beziehungen in Zeiners Roman selten traditionellen Ehevorstellungen gerecht werden. Ein Partner fällt immer aus der Reihe, betrügt. Und natürlich gibt es auch die einsamen Seelen, Didi, der Saxofonist, der viele Frauen hat, aber bei keiner bleibt oder der jungfräuliche Professor Breitenbach, der lange Dialoge / Monologe über historische Liebesvorstellungen hält.
Zeiner gelingt es, über Liebe und Freundschaft zu schreiben, ohne dass ihr alles ins Kitschige entgleitet oder ihre Geschichte zu profan und belanglos scheint. Die Figur Tom Holler, aus deren Perspektive zweifach erzählt wird (junger Tom, älterer Tom), durchlebt mehrfach die Rolle des Verführers; zum einen ist er der Liebhaber seiner verheirateten Klavierschülerin Anne Hermanns, eine Affäre, die ihn lange beschäftigt, zum anderen schläft er mit Betty, obwohl sie mit Marc zusammen ist. Betty Morgenthal, die die zwei Sichtweisen Toms um ihre spätere in Italien bereichert, pflegt leidenschaftliche Beziehungen, betrügt ihre Partner jedoch auch. Sie erscheint wie eine postmoderne Femme Fatale, deren Gewissensplagen sich weniger auf den Ehebruch selbst beziehen, als mehr auf die Tatsache, welches Kleid sie dabei trug. Doch sie ist keineswegs oberflächlich. Sie liebt das intensive Leben im Südlicht Italiens, genießt ihre Jugend mit Marc und Tom und Jazzmusik. Nur ihren Traum vom Singen gibt sie letztlich doch auf und wird Ärztin, wodurch sie viel mit dem Tod konfrontiert wird.
Liebe und Tod
„Wer bin ich, wenn sich niemand an mich erinnert? (…) Werde ich existiert haben, wenn sich niemand meiner erinnert? Existiert nicht nur das, woran sich irgendjemand auf dieser Scheißwelt erinnert, das was von irgendjemandem in die Krämerschubladen der Weltgeschichte hineingetan wird, und der Rest ist nicht geschehen?“
Das Verhältnis zwischen Liebe und Tod ist seit vielen Jahrhunderten ein nie endendes Spannungsfeld, an dem sich Autoren wie Künstler und auch Musiker immer wieder abarbeiten. Was bleibt von uns wenn wir sterben mehr als die Erinnerungen, die wir in den Menschen hinterlassen, die uns liebten? Was macht uns aus, was macht uns einzigartig?
In diesem vielschichtigen Roman „Die Ordnung der Sterne über Como“ wird der Leser mehrfach mit Gedanken zum Tod konfrontiert. Er sitzt mit Betty im Krankenhaus und sieht ihr dabei über die Schulter, wie sie den Angehörigen eines Komapatienten seinen baldigen Tod nahe bringen muss. Er steigt mit Tom und Marc auf den Gletscher und lauscht ihrem Gespräch über Vergänglichkeit, unmittelbar bevor Marc nicht mehr antwortet.
Das Schweigen, die mit Schmerz und unbeantworteten Fragen angefüllte Leere die bleiben, wenn jemand stirbt. Die Abwesenheit des Gedanken an den Tod, während man lebt. Monika Zeiner beleuchtet nicht nur die Liebe in ihren Facetten aus mehreren Richtungen, sondern auch das Sterben und den Umgang mit dem Tod.
Mir waren die Figuren in ihrer Lebendigkeit inmitten des Berliner WG-Lebens und der eindringlichen Musikauftritte, in den entscheidenden, schicksalsträchtigen Augenblicken und auch später beim Wiedersehen in Italien stets sehr nah und sind es immer noch, auch Tage nach der Lektüre. Man könnte noch viel mehr über den Roman sagen, vor allem über den Aspekt Musik, den ich mangels Jazzkenntnissen ein wenig außen vor ließ.
Interessierte seien an dieser Stelle auf die Rolle Monika Zeiners als Sängerin in der Band Marinafon verwiesen; hier ein Song, der auch im Roman des öfteren vorkommt: „I lost my heart in Portofino“.
Mein Fazit ist: Monika Zeiner erschafft in ihrem Debütroman eine intensive, vielschichtige Geschichte, die anhand ihrer Figuren ein Kaleidoskopbild der Liebe, der Freundschaft und des Todes erzeugt. Mich hat der Roman mehr fasziniert und angeregt als gelangweilt und ich würde mir mehr solcher umfassenden, tiefsinnigen Bücher in den Neuerscheinungen wünschen.
[Monika Zeiner – Die Ordnung der Sterne über Como
Blumenbar / Aufbau
607 Seiten, 2013, gebunden, 19,99 €
mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich]
Lesens- und Sehenswertes:
Youtube – Die Autorin liest aus ihrem Roman
Auftakt:
„An einem Spätabend, dem Wetter nach zu urteilen irgendwo zwischen November und Februar, bekam Holler unerwarteten Besuch von seiner Ehefrau, die, wie sie sagte, ein paar Kleinigkeiten abholen wollte.“
Monika Zeiner, geb. 1971, studierte in Berlin und Neapel und promovierte über Liebesmelancholie im Mittelalter. Sie veröffentlichte mehrere Hörspiele und ist Sängerin und Texterin der Italo-Swing-Band marinafon. Für ihren Roman „Die Ordnung der Sterne über Como“ wurde sie mit dem Debütpreis der Lit.Cologne ausgezeichnet. Sie lebt in Berlin.
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