Schade, dass Leuchtbuchstaben auf einem Buchcover nicht flackern. Das wäre das I-Tüpfelchen auf diesem literarischen Streifzug über die Reeperbahn gewesen. In seinem Debüt „Hafenlichter. Stories“ erzählt Jens Eisel 17 Kurzgeschichten. Sie tragen Titel wie „Hunde“, „Brüder“, „Die Werkstatt“, „Der Alte“ oder „Sturm“ und spielen allesamt in einer unwirtlichen Cin Sity namens Hamburg. Leider beschwört Eisel diese trostlose Schattenwelt nicht nur herauf, sondern er reizt sie auch bis zur Schmerzgrenze aus.
Nach der Ouvertüre „Hunde“ weiß man, woher der Wind weht: aus einer archaischen Männer-Unterwelt. Der Ich-Erzähler beschreibt seine wortkarge Freundschaft zu Henning, einem Ex-Häftling. Langsam geht es für Henning, der „mindestens einen Kopf größer … und doppelt so breit“ ist wie der Protagonist, nach der Entlassung bergauf. Doch kurz bevor sich die düstere Vergangenheit in Wohlgefallen auflöst, kommt es zur Katastrophe.
Eisel liebt es offenbar, den mühsam gepeppelten Hoffnungsschimmer zu zerstören. So lässt er vereinsamte Väter in Kneipen vergebens auf ihre Töchter warten, einen Boxer hart trainieren, bevor ihn das Schicksal K.o. schlägt, und nimmt einem Lehrling seinen Meister, kurz bevor Letzterer ihm den Betrieb vererben kann. Das ist brutal, aber nicht schlecht. Vor allem, wenn man bedenkt, dass andere Nachwuchsautoren noch nach relevanten Themen suchen, während Eisel Story-Schätze en masse aus einer dreckigen, nachtblauen Hafenelbe zieht.
Jens Eisel, der zwar auch Absolvent eines Literaturinstituts ist, beglaubigt seine Expertise für solche Geschichten übrigens mit seinem Mangel an akademischer Bildung und der exorbitant langen Liste an bisher verrichteten Hilfsarbeiten. Anders als bei Clemens Meyer, ist Jens Eisels Erzählstil simpel geblieben. Sein Wortschatz ebenso überschaubar, wie seine Sätze. Und weil das gut zu den Geschichten passt und Literatur nicht immer kompliziert sein muss, ist das an dieser Stelle zuallererst als Lob zu verstehen. Natürlich nutzt Eisel erzählerische Tricks wie Zeitsprünge, Rückblenden und mit besonderer Vorliebe auch Leerstellen. Trotzdem wirkt das nie künstlich, sondern eher scheu und respektvoll gegenüber seinen Figuren.
Einen großen Haken gibt es aber doch: Die Figuren ähneln sich so stark, dass sie nach der dritten Geschichte einfach nicht mehr faszinieren. Alle sind männliche, rohe Typen, die mehr oder weniger immer das gleiche Problem haben: sie fühlen. Sie leiden an der (sich ändernden) Welt und vor allem daran, dass Sie dieses Leiden nicht zeigen und nicht kommunizieren können. Oft nicht einmal vor sich selbst, weshalb häufig situative Beschreibungen die Sprachlosigkeit ausdrücken:
„‚Er wird dir fehlen‘, sagte er und sah sich in der Kneipe um. Es war kurz nach zwölf, es roch nach kaltem Rauch, und wir waren die einzigen Gäste.“
Immerhin gleichen nicht alle Stücke dem Schema F der Hoffnungszertrümmerung. Der Gewinnertext des Open Mike „Glück“ zum Beispiel, verlegt diesen Hammerfall ins Ungewisse. Manchmal lässt Eisel auch gar keine Hoffnung entstehen, sondern beschränkt sich auf neutrale Momentaufnahmen: In „Die Krähe“ passiert eigentlich nichts. Und trotzdem ist es eine der Perlen des Erzählbandes:
„Er hörte, wie der Regen ungleichmäßig auf das Dach trommelte, und er stellte sich den Wohnwagen auf der Autobahn vor – an einem kleinen Fluss irgendwo in den Bergen. Er überlegte, wann er Hamburg das letzte Mal verlassen hatte und was ihn eigentlich noch hier hielt. Als Franz schließlich einschlief, ging draußen die Sonne auf.“
Irgendwie berühren sie schon, die Geschichten. Deshalb hege ich da auch eine kleine Hoffnung … auf einen Roman von Jens Eisel. Dort könnte er sich nicht nach der achten Seite hinter einem offenen Ende verstecken. Er müsste seine Figuren bis in die Haarspitzen ausarbeiten. Wenn er das schafft, ohne sich zu wiederholen, könnte er ein literarisches El Dorado erschließen – oder wahlweise für den Hamburger auch die „banks of Sacramento.“ ;)
[Jens Eisel – Hafenlichter. Stories
144 Seiten, 2014, gebunden, 16,99 €
oder als E-Book erhältlich]
Lesens- und Sehenswertes:
Youtube – Hafenlichter in bewegten Bildern
Jens Eisels Lesung beim Open Mike
Jens Eisels Homepage mit dem blinkenden Buchstaben
Auftakt:
„Als ich Henning kennenlernte, war ich neunzehn; er war neunundzwanzig. Wir arbeiteten bei UPS im Lager, stapelten Pakete, die von einem Fließband in die Container fielen. Im Sommer war es brütend heiß und im Winter schweinekalt.“
Jens Eisel, geboren 1980 in Neunkirchen/Saar, lebt in Hamburg. Nach einer Schlosserausbildung arbeitete er unter anderem als Lagerarbeiter, Hausmeister und Pfleger. Er studierte am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und war 2013 Finalist beim Literaturpreis Prenzlauer Berg. Mit seiner Story »Glück« gewann er im selben Jahr den Open Mike.
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