Wir wissen, es gibt unzählige Literaturpreise (eine Auflistung spare ich mir aus Platzgründen). Und die Literaturpreise, die es noch nicht gibt, gibt es wahrscheinlich doch irgendwo – man hat einfach nur noch nicht von ihnen gehört. Ein solcher Preis war für mich der Silberschweinpreis. Gibs ja nicht, dachte ich mir. Doch, gibt es.
Im Rahmen der lit.Cologne wurde zum sechsten Mal das silberne Schwein gejagt. Eine Jury hatte zuvor aus neunzehn Romandebüts vier Debütanten nominiert, die sich an einem Sonntagabend im März einem gutgelaunten Publikum vorstellten. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ im letzten Jahr so passend schrieb:
„Debütanten haben kein leichtes Spiel auf der lit.Cologne. Anstatt sich setzen, ein bisschen vorlesen und nach ein paar Fragen wieder verschwinden zu können, mussten (sie) sich (…) im Kampf um den „Silberschweinpreis“ einem anspruchsvollen Wettbewerb stellen. In drei Disziplinen buhlten sie um die Sympathien des Publikums (…): Nach zehn Minuten Lesung und zehn Minuten im Interview mit Moderatorin Monika Schärer, mussten jedoch nicht die Autoren selbst, sondern ein von ihnen mitgebrachter Dritter für sie Partei ergreifen – auf welche Art, das war vollkommen freigestellt.“
Am Ende der Veranstaltung entschied das Publikum per Abstimmungszettel, wer die Sympathieschlacht und somit den Silberschweinpreis gewinnen sollte. Ja, es ging an diesem Abend nicht so sehr um literarische Kriterien (die spielten sicherlich im Vorfeld beim Juryentscheid eine Rolle), aber davon abgesehen wurde den Debütanten eine schöne Gelegenheit geboten, sich auf großer Bühne einem aufgeschlossenen Publikum (und einer potentiellen Leserschaft) vorzustellen.
In diesem Jahr wurden von der Jury folgende Autoren nominiert: Gesa Olkusz („Legenden“), Thomas Wendrich („Eine Rose für Putin“), Viktor Niedermayer („Finsterland“) und Franziska Hauser („Sommerdreieck“). Lauter nette Menschen, die sich darüber wundern, dass sie nun Schriftsteller sind.
So sagte Thomas Wendrich (frei zitiert): „Mein Vater war immer der Meinung, dass ich nicht schreiben kann, weil ich ja Schauspieler bin. Er dachte, ich tu nur so …“
Und Franziska Hauser: „Ich bin mit einem Taxi hierher gefahren. Ich guckte aus dem Fenster, sah mir die Osterglocken an und dachte: Jetzt bin ich also Schriftstellerin. Die Osterglocken haben mit dem Kopf geschüttelt. (…) Ich bin immer noch verwundert, dass ich so ernst genommen werde. Aber wenn meine Lektorin sagt, dass das Literatur ist, dann glaube ich ihr – sie hat ja Ahnung!“
Kein Zweifel: Alle vier Debütanten schreiben Literatur, die ernst genommen werden sollte. Sie überzeugten mit ihren Texten, aber vor allem mit ihrer Liebe zum und ihrem Spaß am Schreiben. Am Ende gewann mit Franziska Hauser die größte Sympathieträgerin des Abends, die aber mehr konnte als nur sympathisch zu sein. Sie stellte auch unter Beweis, dass sie eine gute Erzählerin ist. Sie präsentierte nicht nur sich selbst und ihren Roman, sondern leistete auch den Freundschaftsdienst für Thomas Wendrich (wir erinnern uns: die dritte Disziplin des Silberschweinpreises) und schuf mit ihrer Rede den einen Moment, der mir von diesem Abend noch lange in Erinnerung bleiben wird. Franziska Hauser erzählte, wie sie Thomas Wendrich vor 19 Jahren kennenlernte, erzählte von ihrer gemeinsamen Zeit am Berliner Ensemble. Es war komisch und anrührend, leicht und tief, alles zugleich. Das Leben schreibt eben … ihr wisst schon. Aber man muss die Geschichten auch erzählen können – und das kann Franziska Hauser.
„Dass wir beide uns literarisch immer noch mit der Suche nach der eigenen Identität beschäftigen, obwohl wir ziemlich erwachsen sind, liegt vermutlich auch daran, dass wir in einer ausgestorbenen Staatsform aufgewachsen sind, da dauert die Selbstsuche länger, dafür haben wir aber auch besonders gründlich gesucht.“ Franziska Hauser über Thomas Wendrich
Mit dem Ende ihrer Rede griff Franziska Hauser ein Thema auf, das auch in ihrem Roman „Sommerdreieck“ zentral ist: Das Lebensgefühl der „Wendezeitjugend“.
Im Gespräch mit der Moderatorin Monika Schärer sagte sie:
„Wir waren 15 und haben gerade angefangen uns zu fragen, warum wir eigentlich eingesperrt sind in diesem Land, und da waren wir das nicht mehr, das war cool, das war eigentlich genau der richtige Moment, das entsprach unserer Pubertät. Keiner wusste mehr, wo es langgeht, die Mütter haben geschlossen aufgehört, sich um ihre Kinder zu kümmern, die waren komplett überfordert und mussten erstmal selber wieder klarkommen. Dazu waren wir einfach in dem richtigen Alter. In meinem Freundeskreis haben alle in besetzten Wohnungen gewohnt, da hat mit 15 niemand mehr zu Hause gewohnt. Es war eine seltsame Zeit. Aber da es ja allen so ging und wir uns hatten, war es ja nicht schlimm, wir kamen uns nicht verloren vor.“
In ihrem Roman erzählt Hauser in Rückblenden von der Kindheit in der DDR, der Jugend in der Wendezeit und dem Versuch des Erwachsenwerdens in der Bundesrepublik. Die Ich-Erzählerin Jette erinnert sich an ihre Freundschaften zu Nele, Magda und Elena, mit denen sie nicht nur Erinnerungen teilt. Sie alle sind an irgendeinem Punkt ihres Lebens demselben Mann, dem namenlosen Bildhauer, verfallen und immer noch in irgendeiner Form von ihm abhängig.
Insbesondere die verschiedenen Frauenfiguren und ihr Erleben der späten DDR und der Wendezeit machen diesen Roman lesenswert. Franziska Hauser erzählt energievoll, immer mit frischem Blick und viel Humor. „Sommerdreieck“ ist genau das richtige Buch, um in diesen Tagen das Aprilmistwetter zu vergessen.
Zum Schluss möchte ich noch kurz einen ganz besonderen Debütanten vorstellen: Viktor Niedermayer ist 1926 in Niederbayern geboren. In seinem Debütroman „Finsterland“ erzählt er von einer Kindheit im Nationalsozialismus. Der Roman besteht aus einzelnen – autobiographisch geprägten – Erinnerungsfragmenten eines Ich-Erzählers. Er erzählt von Freunden, Nachbarn, Schulkameraden, die auftauchen und nach wenigen Seiten wieder verschwinden. Sie flüchten, sterben, ziehen in den Krieg, werden deportiert … Was von den Menschen bleibt, sind Leerstellen. Ihre Abwesenheit schmerzt. Hierin liegt die Stärke des Romans: Es ist die Erkenntnis, dass Worte diese Leerstellen nicht zu füllen vermögen – mit dem Fragment hat der Autor eine passende Form gefunden.
[Viktor Niedermayer – Finsterland
208 Seiten, 2015, gebunden, 18,90 €]
[Franziska Hauser – Sommerdreieck
224 Seiten, 2015, gebunden, 19,95 €]
[Gesa Olkusz – Legenden
192 Seiten, 2015, gebunden, 19,90 €]
[Thomas Wendrich – Eine Rose für Putin
320 Seiten, 2015, gebunden, 19,99 €]
Lesens- und Sehenswertes
Rezension von „Legenden“, Bücherwurmloch
Leipzig liest auf der L3 mit Franziska Hauser, Leipzig lauscht