[Interview] Heinz Helle

Heinz HelleHeinz Helle wurde 1978 geboren und lebt derzeit mit seiner Familie in Biel. Er studierte Philosophie in München und New York, arbeitete als Texter in Werbeagenturen und ist Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel. 2013 bekam Helle im Zuge des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs den Ernst-Willner-Preis verliehen. Er ist dort mit einem Auszug aus seinem ersten Roman Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin angetreten, den der Suhrkamp Verlag im Februar 2014 veröffentlichte. Im September 2015 wird sein zweiter Roman Eigentlich müssten wir tanzen erscheinen.

In seinem Debütroman verknüpft er philosophische mit allzu weltlichen Problemen und zeigt, wie man ebenjene und sich selbst kaputtdenken kann. Helle lässt einen namenlosen Philosophie-Studenten vom Leben zu schnöder Theorie und wieder zurück taumeln, lässt ihn scheitern an Lehre, Liebe und seinem eigenen Ich und ihn letztendlich doch noch beim Leben oder dem, was man so bezeichnet, ankommen.

Für mich persönlich war es DAS Debüt des Jahres 2014.  Als Helle beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb las, befand ich mich direkt im Fernsehstudio des ORF. Bereits der ruhige, kühle Ton seiner Stimme bei der Lesung hatte mich vereinnahmt, die Geschichte tat ihr Übriges. Ich habe mit ihm über seinen Roman und das Schreiben gesprochen. Die Rezension findet ihr demnächst hier bei uns.


Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?Heinz Helle - Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin

Etwa vier Jahre.

Wie schwer gestaltete sich die Verlagssuche?

Zunächst versuchte ich über Autoren, die ich aus Biel kannte, bei deren Verlagen unterzukommen. Das gab nur Absagen. Irgendwann fand mich dann Suhrkamp. Beim Literaturkurs in Klagenfurt war meine jetzige Lektorin im Publikum. Sie kam direkt nach meiner Lesung auf mich zu und fragte, ob es davon noch mehr gäbe. Ich hatte das Manuskript dabei.

Was war es für ein Gefühl, dein fertiges Buch in Händen zu halten?

Ein sehr, sehr, sehr gutes.

Du hast Philosophie studiert und bist Absolvent des schweizerischen Literaturinstituts. Schlagen da zwei Herzen in deiner Brust oder existiert da für dich keine klare Trennung?

Eigentlich war das Studium am Literaturinstitut für mich die logische Fortsetzung meines Philosophiestudiums. An der Hochschule für Philosophie habe ich mich hauptsächlich mit Denken beschäftigt. Am Literaturinstitut kam dann die Sprache hinzu, die ich brauchte, um meine Gedanken auszudrücken. Beide Studiengänge hatten die gleiche Motivation: ich wollte an meinem Schreiben arbeiten.

War das Literaturinstitut für dich ein notwendiger Schritt oder hätte es den Roman auch ohne diesen Weg gegeben?

Das Literaturinstitut war eine große Hilfe für mich. Die Möglichkeit, nach Biel zu gehen, kam genau im richtigen Moment, als ich einige sehr grundsätzliche Lebensentscheidungen zu treffen hatte. Es kann sein, dass es diesen Roman irgendwann trotzdem gegeben hätte. Aber es hätte viel mehr Zeit gekostet. Und Tränen, wahrscheinlich.

Gibt es Autoren oder Bücher, die dich und dein Schreiben beeinflusst haben?

Ja, natürlich. Das sind zu viele, um sie hier alle zu nennen. Aber einen muss ich erwähnen, weil die Bekanntschaft mit seiner Sprache mir für meinen Roman sehr geholfen hat. Das ist Don DeLillo. Nachdem ich Underworld im Original gelesen hatte, wusste ich, dass der Klang im Grunde wichtiger ist als der Inhalt.

In deinem Roman verarbeitest du viele Gedankenexperimente und Ansätze der Philosophie des Geistes. War es problematisch, dem Ganzen eine literarische Form zu geben?

Ja. Zunächst war da der Wunsch, eine Sprache zu finden, die diese alten, zutiefst menschlichen Fragen auf eine berührendere und zeitgemäßere Art und Weise ausdrückt als die kühle, technische Sprache der analytischen Philosophie des Geistes. Ich hatte die Hoffnung, dass es möglich ist, auch Menschen, die nicht Philosophie studiert haben, für das Problem des Bewusstseins zu sensibilisieren. Die Suche nach dieser Sprache war der schwierigste Teil der Arbeit.

In deinem Roman gibt es Stellen, an denen man sich schnell ertappt fühlen kann. Beim Bachmannpreis wurde dir bescheinigt, dass es sich bei deinem Text um ein Generationenportrait handelt. Hast du das bewusst wahrgenommen und gewollt oder geschieht das automatisch, weil man irgendwie nicht aus seiner Zeit rauskommt?

Das war keine bewusste Entscheidung. Aber wenn man eine Figur entwirft, die in der Gegenwart lebt, Ende zwanzig ist und permanent über ihren Bewusstseinsstrom Auskunft gibt, müssen eigentlich ein paar Dinge zur Sprache kommen, die Menschen aus der gleichen Generation auch schon mal gedacht haben.

Du bist also beim Schreiben weitaus näher am Leben als dein Protagonist.Heinz Helle + Familie Er kommt aus dem Scheitern kaum noch raus. Am Ende gewährst du ihm aber doch ein Stück Erlösung. Wie hoffnungsvoll darf man bei der Lektüre deines Romans sein? Und was ist Glück für dich?

Ich glaube, dass es für den Protagonisten durchaus Hoffnung gibt. Und für die Leserin sowieso: immerhin liest sie. Was für mich übrigens ein gutes Beispiel für Glück ist. Ich bin immer dann glücklich, wenn ich etwas tue, ohne zu viel darüber nachzudenken.

Der Protagonist scheitert als Student, als Philosoph und als Liebender. Wie viele Geschichten stecken in deinem Roman oder ist es doch nur die eine?

Es ist nur eine Geschichte. Aber ich finde das genügt auch. Menschen sind ja recht komplizierte Gebilde, verwoben in sehr unübersichtliche Sinn- und Bedeutungszusammenhänge. Sie scheitern oder reüssieren immer auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Es gibt nie nur die eine Katastrophe. Wenn man bei einer Online-Überweisung den Verwendungszweck falsch eingegeben hat, kann man fast sicher sein, dass man im nächsten Moment auch noch Kaffee auf die Tastatur kippt.

In deinem Roman gibt es einige Leerstellen, du gibst dem Unaussprechlichen viel Raum. Wie wichtig sind sie für diesen Roman?

Die Leerstellen sind ganz entscheidend. Für mich sind es die impliziten Fragen, die die größte Kraft haben im Zusammenhang mit unserem Bewusstsein. Aber sie werden banal, sobald man sie zu formulieren versucht. Also musste ich abwägen: wieviel Philosophie brauche ich, wie konkret muss ich das Problem des Bewusstseins benennen, damit man überhaupt weiß, worum es geht? Und wieviel Raum gibt man den Fragen, die die Leserin hoffentlich selber hinzufügt? Hier musste ich ein Gleichgewicht finden. Es half dabei natürlich, dass der Protagonist Philosoph ist. Weil er so immer auch als Philosoph scheitert.

Dein Roman ist ausgesprochen rhythmisch, ich selbst habe ihn komplett laut gelesen. Wenn dein Buch musikalisch vertont werden würde, wie würde es klingen?

Zunächst einmal freut es mich sehr, dass du das Buch laut gelesen hast. Dafür ist es auch gedacht. Ich lese jeden Satz mehrmals laut, ehe ich entscheiden kann, ob er stimmt. Ich verstehe nicht viel von Musik, aber vielleicht wäre eine Mischung aus Eminem und Bach für eine Vertonung ganz passend. Wenn man sich nur den reinen Text betrachtet, dann ist das, was Franz Dinda für das Hörbuch gemacht hat, aus meiner Sicht sehr nah an Perfektion.

Ich danke dir für das Interview und freue sehr auf deinen nächsten Roman.

2 Gedanken zu “[Interview] Heinz Helle

  1. Danke für das schöne Interview, das ich mit großem Interesse gelesen habe. Ich hatte mir den Debütroman von Heinz Helle gekauft, jedoch nie gelesen … nun wurde er mir eindrücklich zurück in Erinnerung gerufen und ich habe richtig Lust darauf, loszulesen.

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    • Das freut mich sehr. Ich hoffe, du kommst bald dazu ihn zu lesen und lässt uns dann auch an deiner Leseerfahrung teilhaben. Und da der zweite Roman schon so gut wie gedruckt ist, ist es vielleicht gerade der richtige Augenblick.

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