Bei fünf Teammitgliedern kommt es immer wieder vor, dass ein Buch nicht nur von einer Person, sondern gleich von mehreren gelesen wird. Und natürlich tauschen wir uns dann auch darüber aus. Um euch daran teilhaben zu lassen und euch dennoch nicht mit zwei ellenlangen Rezensionen zu langweilen haben wir uns für eine Besprechung in etwas kürzerer Form entschieden. Bei den Seitenspinnern sind wir auf einen Fragenkatalog gestoßen, der uns für unsere Zwecke geeignet schien und so haben wir uns davon inspirieren lassen.
Laura und ich haben Simone Lapperts Debütroman „Wurfschatten“ gelesen und unabhängig voneinander den Fragebogen ausgefüllt. Das Ergebnis könnt ihr nun hier sehen.
Worum es geht: Ada ist jung, hat wenig Geld und regelmäßig Panikattacken. Ihren Job als Schauspielerin kann sie auch im Alltag gut gebrauchen, denn niemand soll von ihrer Angst erfahren. Das klappt eigentlich auch ganz gut, bis sie die Miete nicht mehr aufbringen kann und der Vermieter ihr kurzerhand einen neuen Mitbewohner in die Wohnung schickt.
Worum es wirklich geht:
- Es geht um (Lebens-)Angst und den täglichen Kampf mit sich und seinen Entscheidungen. Und wie sollte es anders sein, natürlich geht es auch um die Liebe, die alles erträglicher macht.
- Um Angst und die Kunst, einen Weg zu finden, damit zu leben.
War dir die Autorin / der Autor bereits bekannt? Wodurch?
- In Bloggerkreisen ist man um dieses Buch kaum herumgekommen. Die Autorin kannte ich bis dato allerdings nicht.
- Bereits eine Rezension auf ZEIT online machte mich auf das Buch aufmerksam, daraufhin hörte ich Simone Lappert in Berlin aus ihrem Debüt lesen, und wollte „Wurfschatten“ dann unbedingt lesen.
Welche Erwartungen hattest du an den Roman?
- Durch die Vielzahl an Rezensionen hatte ich recht hohe Erwartungen. Ich habe vorher zwar keine einzige gelesen, aber die Begeisterungsstürme schwappten dennoch immer wieder zu mir. Bei solchen existenziellen Themen erwarte ich immer, den Kampf der Protagonisten selbst ein Stück weit fühlen zu können. Das kann nur gelingen, wenn man keine Phrasen drischt, sondern auch stilistisch einen eigenen Ton findet.
- Wie immer recht hohe: Ist die Sprache ansprechend und passt sie zum Inhalt? Nimmt mich die Geschichte mit? Sind die Figuren authentisch? Wie wird die Angst der Hauptfigur vermittelt?
Überzeugt dich der Plot?
- Der Plot überzeugt mich weitestgehend. Er ist recht überschaubar, Lappert neigt glücklicherweise nicht zur Überfrachtung durch Figuren oder Geschehnissen. Wir begleiten lediglich eine Handvoll Menschen, die sich durch den Alltag kämpfen. An ein oder zwei Stellen bin ich etwas gestolpert (vor allem am Ende), aber das war nichts, was dem Roman arg geschadet hätte.
- Der Plot ist nicht sehr außergewöhnlich, sondern beschreibt einen Menschen in seinem Leben und wie wichtig andere Menschen darin sind, ohne uninteressant zu sein. Dadurch ist die Geschichte authentisch und nah an der Wirklichkeit.
Sofort mittendrin oder langsam reinkommen – wie gefällt dir der Einstieg in die Geschichte?
- Der Einstieg ist Lappert ganz wunderbar gelungen, da man direkt am Puls der Geschichte und der Protagonistin ist. Ada versucht gegen ihre Angst anzukämpfen, indem sie sich vergewissert, dass ihr Herz noch schlägt. Die Beschreibungen ihrer Bewegungen und Gedanken sind einnehmend und man bewegt sich sofort mit ihr durch die Angstspirale.
- Im Grunde ist es der Anfang gewesen, der mich überzeugt hat, das Buch zu lesen. Der Leser wird direkt mit der Angst konfrontiert, die Ada regelrecht lähmt. Die Sprache überzeugt durch ihre konkrete düstere Art gleich zu Beginn.
Was hältst du vom Ende des Romans?
- Das Ende des Romans ist für mich leider der enttäuschendste Part. Hier löst sich plötzlich alles ein klein wenig zu schnell und wird doch noch etwas zu kitschig. Schade, denn Lappert hat vorher durchaus bewiesen, dass sie gut ohne Kitsch auskommt.
- Das Ende hat mir gut gefallen. Es bleibt bis zuletzt interessant und wird nicht zuu kitschig.
Was sind zentrale Themen und Motive des Romans?
- Zentrales Thema ist sicherlich die Angst, die sich immer wieder durch eine Wassermotivik zeigt. Ada hat während ihrer Panikattacken das Gefühl unter einer Taucherglocke zu sein, die Angst lässt sie regelrecht ertrinken. Wasser ist hier aber nicht grundsätzlich negativ konnotiert, sie liebt Fische und „schwimmt“ sogar im Supermarkt als Kind vor die Fischtheke, um die Auslage voller Fische zu bewundern. Ebenfalls zentral sind die Themen Liebe und Freundschaft und nicht zu vergessen der Druck, der auf jungen Menschen lastet, die ihren Weg im Leben finden müssen.
- Angst, Liebe, Freundschaft, Selbstfindung, auf was kommt es an im Leben.
Wie sind die Charaktere beschrieben?
- Die Charaktere sind sehr authentisch beschrieben. Lappert hat den wichtigen Figuren eigene Züge verliehen, sodass sie nicht stereotyp wirken.
- Am deutlichsten ist die Hauptfigur Ada ausgearbeitet. Der Leser taucht tief in ihr Gefühlsleben ein. Doch auch die Antagonisten wie Juri, der auf einmal bei ihr wohnt, sind so beschrieben, dass sie in ihrem Handeln nachvollziehbar sind. Die Charaktere sind nicht stereotyp.
Ausufernde Detailverliebtheit oder flüchtige Überschau – wie gestaltet die Autorin / der Autor die Welt der Geschichte und was gefällt oder missfällt dir daran?
- Lappert entwirft ihre Welt ausgehend von den Protagonisten, wodurch alles ganz natürlich wirkt. So schreibt sie nicht einfach nur, dass neben dem Fenster ein Stethoskop liegt, sondern beschreibt Adas Kopfbewegung, die sich vom Fenster wegbewegt und am Stethoskop hängenbleibt. Lappert schreibt nicht detailversessen, nimmt sich aber dennoch die angemessene Zeit für die Geschichte.
- Die Gestaltung der von der Autorin erschaffenen Welt ist sehr anschaulich und authentisch. Es gelingt Simone Lappert, die Angst greifbar zu machen und gleichzeitig eine interessante Geschichte zu erzählen, die sich nicht in Details verliert.
Wie gefallen dir Stil und Sprache des Romans?
- Stil und Sprache gehen Hand in Hand und sind äußerst stimmig. Lappert arbeitet stark mit bildreichen Worten, Vergleichen und Wiederholungen. Da sitzt kein einziges Wort an der falschen Stelle.
- Die Sprache und der Stil fügen sich prima mit dem Inhalt zu einem insgesamt überzeugenden Debüt. Die Autorin setzt die Sprache präzise ein, arbeitet mit Wiederholungen oder Wörtern wie „Zitterhand“ und findet plastische Beschreibungen der Angstzustände, die der Protagonistin widerfahren.
Wie lange hast du an dem Roman gelesen?
- Ich habe lediglich zwei Tage an dem Roman gelesen, der Text fließt, könnte man sagen.
- Der Roman liest sich trotz der düsteren Thematik schnell und ohne zu belasten.
Was sind die Stärken des Romans?
- Die größte Stärke des Romans ist für mich Lapperts Sprachgebrauch. Jedes noch so abwegige Bild fügt sich ganz harmonisch in die Geschichte, bleibt aber dennoch sehr speziell. Hier fällt man auch schon einmal in sich hinein und zerpixelt sich mit Serien die Leere im Kopf. An keiner Stelle wirkt die Sprache gekünstelt, das ist beeindruckend.
- Die überzeugende Eindringlichkeit der Sprache. Eine Liebesgeschichte ohne Kitsch.
Was sind die Schwächen des Romans?
- Ich sehe lediglich zwei Schwächen in diesem Roman. Obwohl man den Eindruck hat, dass die Panikattacken von Ada sehr authentisch beschrieben sind, ist mir aufgefallen, dass sie auch während des schlimmsten Anfalls noch in der Lage ist, rational zu reagieren. So ruft sie sich ein Taxi, um sich zu beruhigen. Aber das ist Meckern auf hohem Niveau. Eine andere Schwäche sehe ich im zu schnellen und kitschigen Ende.
- Mir fielen keine auf.
Gab es nennenswerte Besonderheiten?
- Die Eindringlichkeit der Sprache und dass die Autorin ein brandaktuelles Thema umschreibt ohne in ein einfallsloses Generationenportrait abzurutschen.
- Das Buch stellt eine intensive Lesebegegnung mit dem dunklen Thema Angststörung dar und ist dennoch lebensbejahend.
Hat das Buch etwas in dir verändert oder hast du etwas Bedeutsames gelernt?
- Nein, aber ich freue mich, dass eine junge Autorin überzeugende Worte für eine allgegenwärtige Angst gefunden hat.
- Ich verstehe besser, wie beeinträchtigend selbst in den kleinsten Dingen es sein kann, an einer Angststörung zu leiden.
Das Buch ist vergleichbar mit…
- Keine einfache Frage. Vom Gebrauch der Wortbilder liegt Lappert irgendwo zwischen Lisa Kränzler und Milena Michiko Flasar. Nicht so brachial wie Kränzler, aber auch nicht so poetisch wie Flasar. Thematisch kann ich keinen Vergleich nennen.
- Inhaltlich: „Was wir fürchten“ von Jürgen Bauer, in dem es auch um Angstzustände des Protagonisten geht. Sprachlich: Lapperts Sprache erinnerte mich teils an Flasar in „Ich nannte ihn Krawatte“, reicht jedoch nicht ganz an deren Sprachpoesie heran.
Wem würdest du das Buch empfehlen?
- Ich empfehle das Buch allen Menschen mit Angststörungen, da der Roman sehr aufbauend ist. Außerdem möchte ich das Buch allen Literaturliebhabern ans Herz legen, die sich nicht nur von einer Geschichte, sondern auch von deren Sprache umgarnen lassen wollen.
- Allen, die zuviel Angst haben und sich fragen, was man dagegen tun kann. Jenen, die die Übereinstimmung von Sprache und Inhalt in der Literatur schätzen.
Ein Moment zum Festhalten – deine liebste Stelle
- „Unten auf dem Bordstein zogen die Passanten noch immer ihre beschatteten Werktagslinien. Jede Schädeldecke eine Kompassscheibe, jeder Scheitel eine verlässliche Nadel.“
- „Hör auf, in dich hineinzufallen“
[Simone Lappert – Wurfschatten
207 Seiten, 2014, gebunden 20,00 €]
Lesens- und Sehenswertes:
Auftakt
„Siehst du, es schlägt noch.“
Simone Lappert wurde 1985 in Aarau in der Schweiz geboren, lebt und arbeitet in Basel. Sie studierte Literarisches Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel. 2013 wurde sie mit dem Heinz-Weder-Preis für Lyrik ausgezeichnet, 2014 erhielt sie den österreichischen Wartholz-Preis als beste Newcomerin. Sie war Stipendiatin des 16. Klagenfurter Literaturkurses und des Literarischen Colloquiums Berlin.