[Rückblende] Ulrike Draesner – Lichtpause // 1998

51SS7DGB0DLIch erinnere mich gern an mein Debüt 1998 mit der Lichtpause, meinem ersten Roman. Und das, obwohl eigentlich alles so lief, wie es niemals laufen sollte. Mit keinem Buch, am allerwenigsten mit einem Debüt.
So geht es schon los: Dieses Debüt war gar nicht mein Debüt. Das war 1995 erschienen, ein Gedichtband. Und so schief ging so weiter: Erscheinen sollte die Lichtpause bei Suhrkamp. Dort geriet sie, oder ich, kurz vor der Drucklegung in einen Lektorenwechsel. Das Programm wurde erst einmal eingefroren. Was ich mir, schlicht finanziell, nicht leisten konnte. So dass ich den Verlag wechselte. Als der Roman im Herbst erschien, geriet er in den Strudel um die Aufregungen über Judith Herrmanns Sommerhaus, später. Die Lichtpause ist in allem das Gegenteil von Sommerhaus, später. Was dort leicht ist, ist bei mir – ganz anders. Dichte Sprache etc. Die erste Rezension zur Lichtpause erschien in der SZ. Auf einer Seite mit Herrmann. Das war der einzige Punkt, an dem die Bücher sich je berührten. Sehr offensichtlich befand ich mich nicht im Takt damit, was angesagt war, entdeckt wurde, als jung und cool galt.
Die eigentliche Katastrophe allerdings geschah erst ein paar Monate später. Zu meiner größten Überraschung flatterte mir der Brief eines Anwaltes ins Haus. Samstag Morgen. Fünf Tage Zeit, eine juristisch wasserdichte Antwort auf die Anschuldigungen zu entwickeln. Es klagte: eine meiner Tanten. Die sich, nicht zu Unrecht, in dem Buch wiedererkannt hatte. Als Nebenfigur. Dennoch. Sie wollte den Roman einstampfen lassen.

2002 © Daniel Biskup

2002 © Daniel Biskup

Mein Fehler. Ich war unzureichend informiert gewesen über das Recht auf Persönlichkeitsschutz. Pseudonyme, falsche Namen, Spurenverwischung hilft nicht unbedingt, wie ich seither sehr genau weiß. In den späten 90er Jahren änderte ich dieser Bereich im Zuge der damals neuen medialen Entwicklungen juristisch stark; mir war das, so wenig wie den Leuten von Volk & Welt, wo der Roman erschien, bewusst gewesen. Was für ein Segen, dass ich in der Verwirrung einer 19jährigen einmal Jura studiert hatte. Ein ehemaliger Kommilitone, Rechtsanwalt inzwischen, half mir aus der Bredouille (ohne Honorar: ich hatte weder einen Job noch Geld). Sein Rat: nicht klagen, einen Vergleich suchen. Die Chancen der Tante stünden nicht schlecht, denn die Beweislast, das sie nicht gemeint sei, liege bei mir, der Autorin.
Die Beweislast. Das ist das Gemeine.
Die Einschätzung des Rechtsanwaltes war richtig, wie die späteren Urteile zu Alban Nicolai Herbst und Maxim Biller zeigten. Danke Rocky!
Meine Tante und ich handelten einen Vergleich aus. Der Rest der Auflage durfte abverkauft werden. Dafür unterzeichnete ich, dass ich nie mehr meine Tante oder einen ihrer nahen Anverwandten, die naturgemäß auch meine nahen Anverwandten sind, in einem Roman vorkommen lassen würde. Die Strafsumme bei Verstoß gegen dieses Gebot wurde auf 20.000 DM festgelegt.
Folge: Das Buch erschien nie als Taschenbuch.
Folge. Ich habe einen getreuen Sofortleser, den Rechtsanwalt meiner Tante. Er überprüft bei jedem meiner Bücher, ob er einschreiten kann. Stelle ich mir vor.
Folge: Ich denke an mein Debüt – und lache. Damals war der Schrecken groß. Im Nachhinein ist das Ganze grotesk. Und gut für Blogeinträge: ich habe etwas zu erzählen.

PS: Volk & Welt gibt es schon lange nicht mehr. Die Tante ist gestorben. Der Roman lebt. Ab und an taucht ein Exemplar im Netz auf.

© Ulrike Draesner

Lichtpause // 1998

Verlag: Volk & Welt


Ulrike Draesner wurde am 20. Januar 1962 in München geboren. Ihr Studium der Germanistik und Philosophie schloss sie 1989 ab und promovierte 1992 mit einer Arbeit zu Wolframs von Eschenbach Parzival. Um sich ganz dem Schreiben widmen zu können, kündigte sie ihre Universitätsstelle. 1995 erschien ihr erstes Buch, der Gedichtband gedächtnisschleifen. 1996 zog Draesner nach Berlin, wo sie heute als Dichterin, Prosaautorin und Essayistin lebt. 1998 erschien ihr Debütroman Lichtpause, auf den noch 4 weitere Romane und etliche Erzählungs- und Gedichtbände folgen sollten. Ihr könnt euch hier einen Überblick über Draesners Werk verschaffen.

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