Wie jedes Jahr sind auch diesen Sommer einige Schriftsteller nach Klagenfurt gekommen, um ihr literarisches Können vor acht Jury-Mitgliedern unter Beweis zu stellen. Die Geschichte der Tage der deutschen Literatur kennt erfolgreiche Debütanten. So erhielt beispielsweise 2011 Maja Haderlap den ersehnten Preis für ihr erstes Prosawerk Engel des Vergessens. 2013 hat eine andere Debütantin – Katja Petrowskaja – für den Auszug Vielleicht Esther aus dem gleichnamigen Roman den prominenten Preis gewonnen. Doch nicht immer werden die Debütanten für ihre Texte so hoch gelobt. Unter den vierzehn diesjährigen Anwärtern auf den Ingeborg-Bachmann-Preis befanden sich zwei angehende Schriftsteller – Anna Baar und Sven Recker, die dank der Live-Übertragung der literarisch interessierten Welt aus ihren Erstlingsromanen vorgelesen haben.
Anna Baar, die praktischerweise in Klagenfurt wohnt, präsentierte einen Ausschnitt aus ihrem Roman Die Farbe des Granatapfels, der noch diesen Monat beim Wallstein Verlag erscheint. Der Roman behandelt Konflikte eines heranwachsenden Mädchens mit seiner Grußmutter und berührt damit nicht nur Generations- sondern auch kulturelle Unterschiede. Schon nach dem ersten Satz wird einem klar, dass die Ästhetik der Sprache für die Autorin eine besondere Rolle spielt.
„Es war ein ungerichtetes Sehnen, und nichts kam heran, mir die heitere Trägheit zu stören, die nur in den Augen und Worten der anderen eine bedenkliche war.“ [Der Text als PDF]
Doch trotz der Virtuosität im sprachlichen Ausdruck konnte Anna Baar die Jury für ihren Text nicht grenzenlos begeistern. Denn die Poetik ihres Textes sei nicht nur schön, sondern zudem auch zu umständlich. Der Text wurde von der Jury dem therapeutischen Schreiben zugeordnet, mit dem versucht werde, persönliche Erinnerung und die eigene Familiengeschichte aufzuarbeiten. Der Text sei für die Juroren „eine Nuance zu schön […], eine Nuance zu geschmackvoll in den Farben, in den Gerüchen, in den Beschreibungen der Früchte.“ Diese Aussage kann für die ganze Diskussion stehen. Kurz gefasst, ist der Text sehr schön geschrieben, aber vielleicht doch zu perfekt. Denn auf einer Hochglanzfläche sind die kleinsten Unebenheiten besonders deutlich zu sehen. [Die Jury-Diskussion zum Nachhören]
Am Rande sei noch bemerkt, dass Anna Baar keinesfalls eine unerfahrene Debütantin ist, da sie bereits im Herbst des vergangenen Jahres für diesen Text, damals noch unter einem anderen Titel „Sanduhr der Abwesenheit“, mit dem Preis des Kärntner Schriftstellerverbandes für neue Literatur ausgezeichnet wurde. 2012 erhielt diese Wortkünstlerin zudem den Kärntner Lyrikpreis, was nach den Jury-Kommentaren und dem Vorwurf der übertrieben schönen Sprache keinen mehr überraschen mag.
Sven Recker, der Journalist aus Berlin, führte der Jury einen Auszug aus seinem im Herbst in Nautilus Verlag erscheinenden Roman Krume Knock Out. Der Klappentext des Romandebüts verspricht einen sezierenden und differenzierten Blick auf unsere heutige Gesellschaft, die von Sucht, Tod und psychischen Problemen bestimmt wird. Sein Prosastück unter dem Titel „Brot, Brot, Brot“ lässt abwechselnd drei Figuren (Drago, Börner und Julia) erscheinen, von denen sich jedoch nicht sagen lässt, dass sie eine gehobene Sprache gebrauchen, wie dies der erste Satz bereits veranschaulicht:
„Ganz ehrlich, ich bin nicht hart genug für den Scheiß, echt, erst gestern hab ich gesehen, wie sie einen fixiert haben, voll ans Bett gefesselt und so, haben ihn vollgepumpt mit Haldol, liegen gelassen in der eigenen Pisse und Scheiße.“ [Der Text als PDF]
Ein Debütant hat es nicht leicht, wenn er vor einer so prominenten Jury vorträgt, die dazu nicht gerade ein Blatt vor den Mund nimmt. Während der erste Kommentar noch positiv erscheint, indem er die vorwiegend in einer psychiatrischen Anstalt spielende Geschichte als eine Allegorie der Stadt versteht, fügt dem der zweite hinzu, dass die Figuren zu stereotyp oder, wie dies Stefan Gmünder bezeichnet, „aus dem Klischeekaufhaus“ stammend seien. Die durchmischten Perspektiven lassen die Figuren einem Theaterschauspieler ähnlich ihren Text im Rampenlicht vorsprechen. Nur fehlten der Adressat dieser Aussagen sowie der zu überbringende Subtext. Der Ansatz sei gut, aber sprachlich sei er nicht gut genug ausgearbeitet. Dieses Prosastück wird mit einem journalistischen Text verglichen, der etwas Beobachtetes bloß objektiv wiedergibt, ohne die Figuren mit Plastizität und Leben auszufüllen. Auch fehle der Jury eine Erzählerstimme. So nutze der Text die Möglichkeiten nicht, die er sich selbst eröffnet. Es ließe sich zusammenfassen, dass Reckers Text zwar eine gute Vorlage liefert, dennoch in Klagenfurt an seiner zu unpoetischen Sprache scheitert. Doch: Was noch nicht war, kann ja noch werden! [Die Jury-Diskussion zum Nachhören]
Würde man beide Debütanten gegenüberstellen, zeigt sich eine interessante Tendenz. Da es sich hier um einen Literaturwettbewerb handelt, steht die Sprache natürlich im Vordergrund. Doch weder darf sie zu poetisch, um nicht zu sagen zu lyrisch, sein noch darf sie an einen journalistischen Text erinnern. Die goldene Mitte macht die Musik.
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