[Literaturpreis] Sandra Gugic – Astronauten

Am 18.9.2015 wird der Franz-Tumler-Preis für den besten deutschsprachigen Debütroman in Laas verliehen. Wie wir bereits ankündigten, verfolgen wir die Verleihung und darüber hinaus hat jede von uns einen der nominierten Romane gelesen. Wir werden nun in einer kleinen Reihe jeweils die Autorinnen in einem Interview und Statements zu ihren Romanen vorstellen.

Wir beginnen die kleine Reihe mit Sandra Gugic und ihrem Debütroman „Astronauten“

9783406673702_largeSandra Gugics Debütroman „Astronauten“ entwirft ein sechsfaches Bild von einem Sommer in einer Großstadt. Es sind sechs Personen, sechs Perspektiven, sechs Geschichten… die alle wie in einem Netz miteinander verbunden sind. In der (ungenannten) Großstadt leben Zeno, Darko, Alen, Mara, Alex und Niko auf der Suche nach sich selbst, nach Geborgenheit, Verständnis, Anerkennung… und so etwas wie Glück. Jede der Figuren hat ihre eigene Stimme, eine eigene Sicht auf die Geschehnisse. Im Vordergrund stehen dabei weniger die Handlung und der Plot, sondern es ist die multiperspektivische Erzählweise und Konstruktion des Romans, die ihn auszeichnet.

Durch diese eher ungewöhnliche Erzählweise kommt es unter den einzelnen Teilen, die jeweils aus der Sicht einer der sechs Figuren geschrieben ist, immer wieder zu Überschneidungen und Wiederholungen von Geschehnissen oder Begegnungen, allerdings ohne den Leser zu langweilen. Vielmehr entfaltet sich ein dichtes Netz aus Verstrickungen und Zusammenhängen, das die sechs Figuren hält und den Ereignissen Dichte verleiht. Zugleich bleibt jede Figur autark und behält ihren eigenen Sprach-Klang.

Allerdings ist das Netz aus Verstrickungen zwischen den Figuren und kleinen symbolhaften Bildern derart dicht gewebt, dass es dem Leser keine Luft mehr zum Atmen lässt: Man kann lediglich die einzelnen Punkte miteinander verbinden, sich jedoch kein eigenes Bild machen. Es fehlt der Raum für Assoziationen. Weniger des Anspruchs an Sprache und Überschneidungen wäre vielleicht mehr gewesen. So wirkt die Sprache im Gesamten doch überambitioniert und die vielen Überlappungen in den Geschichten der sechs Figuren geben dem Roman den Eindruck des zuu stark Konstruierten.

Es besteht ein Widerspruch zwischen dem erzeugten Mikrokosmos der Figuren und dem Ort des Geschehens: dem Makrokosmos Großstadt. Zuviele vermeintliche Zufälle oder Verstrickungen lassen den Roman am Ende unauthentisch wirken.

Das Debüt von Sandra Gugic erhielt einige Rezensionen. Besprochen wurde der Roman überwiegend in den österreichischen Medien, aber auch von der ZEIT, sowie auf einigen wenigen Blogs. Die Besprechungen fielen größtenteils positiv aus. Hervorgehoben wird insbesondere die poetische Sprache und die Konstruktion des Romans.

Die Autorin Sandra Gugic ist Wienerin und hat an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Sprache studiert, sowie am Leipziger Literaturinstitut. Sie veröffentlichte bereits in Zeitschriften und Anthologien. Beim Open Mike 2012 war sie Gewinnerin.

Den „Astronauten“ merkt man die intensive Textarbeit der Autorin und die Auseinandersetzung mit der Sprache an sich stark an. So liest sich der Debütroman durchaus anspruchsvoll und beinhaltet beeindruckende Sprachbilder, was ihn preisverdächtig macht, doch wirkt er dadurch meiner Meinung nach auch zu konstruiert.


Interview mit Sandra Gugic

August 2015

Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

© Dirk Skiba

© Dirk Skiba

Ich habe ASTRONAUTEN in Wien, Leipzig und Berlin geschrieben, in einem Arbeitszeitraum von ungefähr drei Jahren, ich habe den Text wieder und wieder zerlegt, Teile verworfen oder umstrukturiert, ich habe analog und digital gearbeitet, assoziativ Fragmente und Fotografien zum Text gesammelt.

Wie schwer gestaltete sich die Verlagssuche?

Das Manuskript von ASTRONAUTEN habe ich fertig geschrieben, bevor ich wusste, ob jemand diesen Roman publizieren will. Es war mir wichtig, ein für mich fertig gedachtes und auch geschriebenes Manuskript an die Verlage zu schicken. Ich wollte mir sicher sein und mich gegebenenfalls nicht zu sehr beeinflussen lassen.

Bei der Verlagssuche wurde ich von meiner wunderbaren Agentin Julia Eichhorn / der Agentur Graf+Graf vertreten und unterstützt.

Die Suche selbst war spannend bis zermürbend, hatte was von einer emotionalen Achterbahnfahrt, ist aber im Endeffekt gut ausgegangen.

Was war es für ein Gefühl, dein fertiges Buch in Händen zu halten?

Ich habe das Cover meines Buches selbst entworfen und umgesetzt. Trotzdem, als das erste Exemplar von ASTRONAUTEN mit der Post gekommen ist, ich es ausgepackt habe und das erste Mal in Händen hielt, war das ein sehr eigenartiges Gefühl, die Vorstellung, dass die ASTRONAUTEN ab jetzt und in dieser Form, materialisiert und manifestiert in die Welt hinaus, gefunden und gelesen werden können, war absolut irreal, erschreckend und beglückend zugleich.

Gibt es Autoren oder Bücher, die dich und dein Schreiben beeinflusst haben?

Mich haben abgesehen von Autor/inn/en und Büchern (dabei nicht zu vergessen: Lyrik!) auch viele andere und ebenso wesentliche Dinge beeinflusst und inspiriert, bildende/angewandte Künste, Filme, das Theater und natürlich auch der Alltag, meine Sozialisation und darüber hinaus Menschen, die mir begegnet sind. Das wäre eine lange Liste. Um bei den Künstlern zu bleiben: Unter anderem haben mich die Arbeiten von Sophie Calle inspiriert, die Bilder der Fotografin Nan Goldin und die Filme von David Lynch und Xavier Dolan, die Bücher von Samuel Beckett, Elfriede Jelinek, Sylvia Plath, William S. Burroughs, Virginia Woolf etc. etc.

Ist ein weiteres Buch geplant?

Die Tastatur klackert ein: JA.

Welche Bedeutung hat der Franz-Tumler-Literaturpreis für dich?

Ich freue mich über die Nominierung und darauf, meinen Roman ASTRONAUTEN in Südtirol vorstellen zu können. Alles andere wird sich weisen.

Was hast du gedacht, als du von deiner Nominierung erfahren hast?

!

Steigert das Lesen der anderen nominierten Romane die Nervosität?

Kurz bevor eine Lesung beginnt, bin ich immer nervös, das legt sich während des Lesens, wenn ich in den Text eintauche. Egal wo ich lese und vor wem. Ich bin gespannt auf die anderen Lesungen und Autorinnen, ich kenne die Mehrzahl der Texte nur in Auszügen und werde es wahrscheinlich nicht schaffen, bis dahin alle anderen gelesen zu haben.

In deinem Roman spielt der Zufall nicht nur bei Alen und Mara eine große Rolle. Zugleich scheint alles und jeder wie in einem dichten Netz miteinander verbunden zu sein. Wie verhält es sich damit?

Das Netz in ASTRONAUTEN fängt die Figuren, hält sie eng zusammen und gleichzeitig auf Distanz zueinander. Wahrscheinlich verhält es sich mit dem Zufall ähnlich wie mit den Verbindungen. An dieser Stelle will ich meinen Protagonisten ALEX sprechen lassen: Man muss sich in geraden Linien vorwärtsbewegen, alles ist nicht mit allem verbunden, die Verbindungen können beliebig hergestellt, verlagert oder aufgelöst werden. Wenn man unsichtbar bleibt, ist alles mit nichts verbunden und nichts mit nichts.

Anstatt eines auktorialen Erzählers spricht jede der sechs Figuren aus ihrer Sicht. Wie kam es zu der Entscheidung für diese ungewöhnliche Erzählform?

Zu schreiben begonnen habe ich mit nur einem ICH-Erzähler, Darko. In diesem Ursprungstext kamen aber schon alle späteren Figuren vor. Eine Figur nach der anderen hat dann ebenfalls das Wort ergriffen, wollte und musste erzählt werden. Das multiperspektivische und nichtlineare Erzählen war für mich logische Konsequenz, um die verschiedenen Stimmen in all ihrer Dringlichkeit, ihren Gedankenschleifen, Parallelen, Widersprüchen und in dem hohen Tempo wiedergeben zu können, in dem sie sich mir erzählt haben. Was macht unsere Identität aus? Wie funktioniert oder scheitert unsere Gemeinschaft? Das sind die Fragen, die mich beschäftigen und sich auch dieser formalen Lösung spiegeln.


Vorstellung in Büchern

Nenne ein wichtiges Buch…

… aus deiner Kindheit

Grebu+Herr-Schlick-geht-heute-in-die-Stadt (2)Herr Schlick geht heute in die Stadt, ein Bilderbuch von Devis Grebu. Dieses Buch habe ich geliebt. Ein misanthropischer alter Mann spaziert durch die Stadt und langweilt sich bzw. ist sogar einsam, weil er seine Umgebung und die Menschen, die ihm begegnen nicht wahrnimmt, nicht auf die Details achtet. Angeblich habe ich nach der Lektüre, als knapp Fünfjährige, zu meiner Mutter gesagt: Ich werde Schriftstellerin. Auf jeden Fall habe ich meinen Roman dem Herrn Schlick gewidmet.

… aus deiner Jugend36987

Kinder unserer Zeit von Christiane Rochefort hat mich sehr beeindruckt. Ich finde das Buch immer noch großartig. Die klare Sprache, die Härte und Zartheit dieses klugen Romans.

… aus deiner aktuellen Lebensphase

LU_T_Mora_Der geheime Text_NEU.inddNicht sterben, die Frankfurter Poetikvorlesungen von Terézia Mora, wegen Sätzen und Gedanken wie diesem: Hoffnungsvorrat, mir ist, als hätte ich das bei Alexander Kluge gelesen. Der Schriftsteller und sein Hoffnungsvorrat. Dass du einfach nicht davon ausgehen kannst, nicht wirklich davon ausgehen kannst, dass zu erzählen, etwas in Sprache zu bringen, jemals sinnlos sein könnte.

… das du dir für die Gegenwartsliteratur wünschen würdest, das aber noch nicht geschrieben wurde.

Für die Gegenwartsliteratur allgemein wünsche ich mir einerseits mehr Mut zum formalen und sprachlichen Experiment, das aber keinesfalls dem Selbstzweck dienen und in Schönheit sterben soll – andererseits wünsche ich mir mehr Inhalte, die Stellung beziehen und (gesellschafts-)politische Themen aufgreifen und künstlerisch verarbeiten.
Und ich wünsche der Gegenwartsliteratur mutige Verleger/innen, die nicht ausschließlich marktorientiert denken und handeln.

[Sandra Gugic – Astronauten

C.H. Beck

199 Seiten, 2015, gebunden, 18,95 €]


Sandra Gugic, 1976 in Wien geboren, Studium an der Universität für Angewandte Kunst Wien/Sprachkunst, Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, Arbeiten für Theater und Film. ASTRONAUTEN (C.H.Beck) ist ihr erster Roman.

http://www.sandragugic.com

5 Gedanken zu “[Literaturpreis] Sandra Gugic – Astronauten

  1. Ich fand Sandra Gugic in Astronauten vor allem deskriptiv unglaublich stark. Sprachlich sehr filigrane Momentaufnahmen, die den einzelnen Figuren durchaus Tiefe geben.
    Man merkt dem Buch dennoch an, dass es sich aus Kurzgeschichten der Autorin entwickelt hat, die dann erweitert und in eine Rahmenhandlung eingefügt wurden (So die Autorin auf einer Lesung in Berlin im Frühling 2015).

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    • Das stimmt, ihre Beschreibungen, nicht nur der Figuren, sondern auch einiger Szenen, sind sehr eindringlich und bleiben auch Wochen nach der Lektüre im Kopf. Sei es der kleine sitzende Fuchs aus Origami, der nackte Fuß auf dem Armaturenbrett oder die in den Hinterhof segelnden Blätter Papier…
      Das Fragmentarische in der Konstruktion ist ganz deutlich noch zu spüren, das finde ich auch.
      Hälst du den Roman denn für preisverdächtig?

      Gefällt 1 Person

  2. Lieber Martin, danke für deinen Kommentar und fürs Daumen drücken. Nur eins noch, um ein kleines Missverständnis auszuräumen: Der Roman bzw. die Idee dazu hat sich nicht aus mehreren Kurzgeschichten, sondern aus einem zusammenhängenden Ursprungstext entwickelt, mehr dazu siehe letzte Frage von / bzw. Antwort an DAS DEBÜT (vor der Vorstellung in Büchern).

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