© Laura PIn einer Großstadt wie Berlin ist es nicht nur schwer, Liebe zu finden. Es ist komplex: sich überhaupt für ein Beziehungs- und Lebensmodell zu entscheiden, sich auf einen Partner festzulegen oder nicht, sich selbst in der eigenen Sehnsucht auszukennen, die eigenen Wünsche mit denen anderer zu vereinbaren … und dabei nicht völlig hemmungs- und rücksichtslos dem Egotrip anheim zu fallen, von all dem erzählt Sabine Wirsching in ihrem Debütroman.

Irgendwann. Ich werde das Gefühl von Suche nicht los – diese Berliner Krankheit, die Erwartung, dass hinter jeder Ecke, in jedem Club ein Besserer warten könnte. Die Stadt ist voller Menschen, überall begegnet man neuen Menschen, bis man süchtig danach ist. Im Alltag werden alle Krawallprinzen grau. Das weiß ich, aber ich will nicht verstehen.“

Sabine Wirsching hat einen unromantischen Roman über Sex, Beziehungsleben, Berlin, Musik und Sehnsucht geschrieben. Es geht um die Suche nach dem Richtigen und um das wilde Ausleben, um das, was bei Männern „Hörner abstoßen“ genannt wird und um die Torschlusspanik, die manch einen Ende Zwanzig zum Beispiel in Berlin befällt. Feste Beziehung? Familie? Bloß nicht. Nicht jetzt.

Die Ich-Erzählerin im Debütroman „Druckstaueffekt. Soundcheck: Berlin“ hadert mit ihrer Beziehung zu einem literarischen Du, die über Jahre angedauert hat und bei der nun die Gewohnheit und der Alltag Einzug hielten. Während er kurzentschlossen nach Afrika reist um Abstand zu gewinnen, schmeißt sich die Protagonistin ins Party- und Konzertleben und schleppt reihenweise Männer ab. Glücklich wird sie damit nicht. Ihr wird bewusst, dass sie doch immer wieder die gleichen Sehnsüchte, Schmerzen, Hoffnungen und Enttäuschungen erlebt. Ob nun mit Remmer oder Adam oder Marek …, Max oder Vincent.

Die Autorin, die selbst auf Rock`n Roll steht, rotes Haar trägt und als Buchhändlerin arbeitete, gibt ihrer Protagonistin von all dem einiges mit. Schauplatz der Handlung ist ausschließlich Berlin und dessen Clubs wie das Wild at Heart, der Bassy Cowboy Club oder das Silver Wings. So bekommt der Leser einiges aus der Rockabilly-Szene Berlins mit, weshalb der Roman sicher das Zeug zum Kultbuch hat. Es gelingt Wirsching, ganz offen über das Beziehungsleben einer jungen Frau zu schreiben, ohne in Kitsch, Romantik oder zuviel Selbstmitleid abzudriften. Eine klare Stärke liegt darin, dass der Roman ohne sprachliche Spielereien ein realistisches Bild der chaotischen Gefühlslage eines bewegten Beziehungslebens vermittelt, in der sich bestimmt nicht wenige befinden und daher wiederfinden. Des Weiteren wirft der Roman interessante Fragen auf, wie die, was Liebe nun eigentlich wirklich ist: dies spannende Prickeln, das idealerweise niemals vergeht, oder das vertraute Miteinander, die Nähe und Angenommenheit einer langen Beziehung inklusive Alltag? Oder inwiefern es möglich ist, mit mehreren Partnern parallel Beziehungen zu führen, in denen es nicht nur allein um Sex geht. Ab wann das „wir“ dann zuviel wird und den einen anfängt, einzuengen…

Liebe? Liebe hätte ich bei dir haben können, hatte ich, und ich bin trotzdem gegangen. Einen, der spannender ist als du? Weil er neu ist, vielleicht. (…) Ich habe immer noch Gefühle für dich, eine ganz selbstverständlich in meinem Inneren angelegte Zuneigung, ein tiefes Vertrauen in deine Nähe. Daran haben die schlechten Zeiten und das, was wie eine Trennung aussieht, nichts geändert. Und vermutlich ist das doch Liebe.“

Allerdings weist das Debüt von Sabine Wirsching auch einige Schwächen auf. So empfand ich die Distanz zwischen Autorin (dem Bild was sie von sich vermittelt) und der Protagonistin als zu gering. Bestehen zu viele Gemeinsamkeiten zwischen Autor und Figur, drängt sich mir schnell die Frage auf, ob es an Einfallsreichtum fehlte. Die männlichen Figuren verharren im Status von Abziehbildern und gewinnen nicht an Tiefe. Nun kann dies natürlich als Strategie angesehen werden, da Männer sich in dem Roman die Klinke in die Hand geben. Doch selbst bei den Männern wie Max und Vincent, mit denen die Erzählerin zum Schluss in einem polyamourösen Verhältnis lebt, bleibt der Eindruck eher schematisch: Hier der Schriftsteller Vincent, der sie schonmal eine halbe Stunde warten lässt, um an einem literarischen Einfall zu werkeln, dort der sportliche Max.
Und dann ist da noch der Erzählstrang, der sich neben der Haupthandlung kursiv gedruckt immer wieder einschleicht. Es geht darin um Figuren wie einen Pragmatiker, einen Tänzer, einen Kämpfer, eine Amazone, sowie ein Fischkind. Die traumähnlichen, surrealen Sequenzen lasen sich etwas anstrengend, da sich ihre Bedeutung für den Kontext nicht gleich erschließt. Selbst die Erläuterung am Ende und meine Vermutung, man könne diese Figuren psychologisch als Teile der Persönlichkeit der Protagonistin ausdeuten, freunden mich nicht recht damit an. Ich denke, der Parallelstrang trägt nicht bedeutend zum Roman bei.

Druckstaueffekt“ ist ein über Crowdfunding realisiertes Buchprojekt. Mich würde interessieren, wie das Buch auf männliche Leser wirkt, da die Perspektive und der Fokus schon sehr weiblich ist und die Männer nicht immer sonderlich gut im Roman weg kommen…
Letztlich lässt mich das Debüt von Sabine Wirsching zwiegespalten zurück: Einerseits hab ich das Buch gern gelesen und mich (von den kursiven Sequenzen abgesehen) nicht gelangweilt. Andererseits wirkt einiges unausgereift und hinterlässt nach dem Lesen einen schalen Beigeschmack.

 

[ Sabine Wirsching – Druckstaueffekt

Kladde Buchverlag

228 Seiten, 2015, gebunden, 19 €]

 

Lesens- und Sehenswertes:

Homepage der Autorin

Auftakt:

Von Vorspiel hat er keine Ahnung.“


© Justine Høgh
© Justine Høgh

1983 geboren, Nordlicht und immer eine Prise Rock’n’Roll im Herzen: Die Autorin Sabine Wirsching hat Buchhändlerin gelernt, Literatur studiert und arbeitet heute als Texterin, Bloggerin und freiberufliche Musikjournalistin in ihrer Wahlheimat Berlin. Sie ist so rothaarig wie anti-romantisch, aber ob Kurzgeschichten oder Roman: Ihr großes Thema ist trotzdem die Liebe – schnörkellos, sachlich und jenseits von Happy Ends. Sabine arbeitet bereits an ihrem zweiten Roman und auch darin geht es um Beziehungen. Oder um es mit etwas Rock’n’Roll zu sagen: You just can’t run from the funnel of love, it’s bound to get ya someday.

10 Antworten zu „[Rezension] Sabine Wirsching – Druckstaueffekt”.

  1. Hat dies auf aboutsomething rebloggt und kommentierte:
    Über das Beziehungsleben in Berlin – das Debüt von Sabine Wirsching

    Gefällt 1 Person

  2. Hat dies auf Text, Mags, Rock'n'Roll. rebloggt und kommentierte:
    Wohlverdiente(s) Klatschen von DASDEBÜT: etwas Beifall gemischt mit ein paar Ohrfeigen.

    Gefällt 1 Person

    1. Herzlichen Dank fürs Rebloggen und den sympathisch-konstruktiven Umgang mit meiner Kritik :)
      LG Laura

      Gefällt 1 Person

      1. wie gesagt, ich danke!
        … und natürlich ist es immer schön und herzerwärmend ein reines „voll-toll!“ zu hören! wenn man das nie bekäme, hätte man schon längst noch nicht mal mehr für die schublade geschrieben. aber wachsen kann man dann doch nur an den ohrfeigen :)

        Like

    1. Ha, danke für den Link auf eine männliche Sichtweise! Dann beruht es wohl (lebensphasenweise) auf Gegenseitigkeit… bzw. geht es vielen mal so, auf der Suche nach dem/der Richtigen einfach nur herumirren und abchecken, das Ich immer im Vordergrund… LG Laura

      Like

    1. Auch dir, merci! Einige wichtige Aspekte mehr zum Buch sind bei dir zu lesen, unter anderem dass es häufig auch an der (fehlenden) Kommunikation liegt, dass Beziehungen nicht funktionieren… Nur SMS reichen da eben nicht, wie wahr! Das wird in „Druckstaueffekt“ tatsächlich sehr deutlich. Danke für den Hinweis.
      LG Laura

      Like

      1. Sehr gerne. Das Thema SMS ist mir wahrscheinlich aufgefallen, weil ich mich strikt weigere, eben solche zu verfassen und damit allein auf weiter Flur stehe. LG, Gérard

        Gefällt 1 Person

  3. […] sehr interessante Pro-Contra-Besprechung bei Das Dabüt (Oktober […]

    Like

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Angesagt