Nach Uli Wittstocks Vorstellung möchten wir euch nun Katharina Winkler in einem Kurzinterview vorstellen.
Katharina Winkler wurde 1979 in Wien geboren. Von 1997-2002 studierte sie Germanistik und Theaterwissenschaft an der Universität Wien. Mit Blauschmuck legt sie einen Debütroman vor, der „zur Gänze auf wahren Begebenheiten beruhe“. Sie erhielt den „Bayern2-Wortspiele-Preis für junge Literatur“ zugesprochen, der mit einem Aufenthalt in der Villa Aurora verbunden ist. Heute lebt die Autorin in Berlin.
Wie lange haben Sie an dem Roman gearbeitet?
Ich hatte das Privileg, meiner Hauptfigur zu begegnen. Als ich dreizehn Jahre alt war, stand Filiz plötzlich vor mir, vollkommen verschleiert, in der Landarztpraxis meiner Eltern. Meine Mutter erkannte, dass sie in einer Notsituation war. Unter ihrer Verschleierung war sie vollkommen blau geschlagen. Vorsichtig baute meine Mutter in den folgenden Jahren eine Beziehung zu ihr auf, gab ihr Impulse zur Emanzipation und begleitete sie durch den Emanzipationsprozess.
Einen kleinen Teil der Geschichte von Blauschmuck habe ich also selbst miterlebt.
Nachdem die Emanzipation geglückt war, habe ich Filiz gebeten, mir ihre Geschichte
anzuvertrauen. Wir haben uns eine Woche lang in ihr Kleingartenhaus zurückgezogen und sie hat mir ihre Geschichte in beeindruckender Offenheit erzählt. Dabei sind fast 60 Stunden Tonmaterial entstanden. Ich war damals Anfang zwanzig und mir war bewusst, dass ich noch keine Sprache hatte, um die Geschichte in adäquater Form zu erzählen. Erst 10 Jahre später habe ich mich an das Projekt gewagt.
Der tatsächliche Schreibprozess hat ca. 2 Jahre in Anspruch genommen.
Wie schwierig gestaltete sich die Verlagssuche?
Ein Auszug aus dem Manuskript ist in „Sinn und Form“ erschienen, der Literaturzeitschrift der Akademie der Künste Berlin. Darin veröffentlichen zu dürfen, war für mich eine Ehre. Nach dieser Publikation ist man von mehreren Seiten auf mich zugekommen.
Gibt es Autoren oder Bücher, die Sie und Ihr Schreiben beeinflusst haben?
Rilke war wichtig. Und Inspiration für fast 1000 Gedichte. Bachmann ist es immer noch. Lyrik überhaupt. Lyrik ist das einzige, was ich lese, während ich an einem Text arbeite. Ich lese keine Prosa, wenn ich schreibe. Während ich meine Sprache suche und entwickle, scheue ich Prosasprachen anderer Autoren, fremde Einflüsse.
Ist ein weiteres Buch geplant?
Ich arbeite bereits daran.
Vorstellung in Büchern
Nennen Sie ein wichtiges Buch…
Niederungen von Herta Müller, mein erster Kontakt mit Herta Müllers Werk
… aus Ihrer Kindheit
Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren, dramaturgisch wunderbar wie Shakespeare, ich lese es noch heute
… aus Ihrer Jugend
Romeo und Julia, auch in der Zeffirelli Verfilmung!
… aus Ihrer aktuellen Lebensphase
Lyrik von Ingeborg Bachmann, wichtig seit ich 17 bin, in jeder Lebensphase, wird mich wohl für immer begleiten, erschließt sich mir in jeder Lebensphase neu und reicher
… das Sie sich für die Gegenwartsliteratur wünschen würden, das aber noch nicht geschrieben wurde.
Es gilt, eine Fülle von Themen literarisch aufzuarbeiten!
Ein Großteil unserer sozialen und politischen Probleme wurzelt im Defizit an Empathie. Empathie ist die Grundlage für humanes Verhalten, Verständnis und Verständigung. Literatur vermag sie zu erzeugen. Deshalb erachte ich Literatur als notwendig, in vielen Kontexten. Angesichts der gegenwärtigen sozialen Gräben brauchen wir sie dringend.
Dazu kommt, dass die aktuellen Problematiken und die Fragestellungen, die sich aus ihnen ergeben, so komplex geworden sind, dass sie nicht rein intellektuell reflektiert und beantwortet werden können. Daraus ergibt sich erstens die Möglichkeit zur vereinfachenden emotionalen Antwort, die der Populismus nutzt. Zweitens ergibt sich daraus die Notwendigkeit der Kunst: Kunst führt über den Intellekt hinaus, sie kann das Leben in seiner Komplexität spiegeln und den Leser in seiner Komplexität, seiner Emotion, seinem Unterbewussten berühren.