Bereits seit 10 Jahren wird während der lit.COLOGNE der Publikumspreis für einen Debütroman verliehen. Dieses Jahr hätten um das silberne, mit 2222 Euro gefüllte Sparschweinchen folgende Bücher gekämpft: „Elijas Lied“ von Amanda Lasker-Berlin, „Für immer die Alpen“ von Benjamin Quaderer und „Der Hund“ von AKIZ.
Mit seinem Romanerstling „Der Hund“ (hanserblau) liefert AKIZ (Achim Bornhak), der bereits als Regisseur und Drehbuchautor bekannt ist, eine wundersame Geschichte zum American-Dream: Vom Tellerwäscher zum gefeierten Star-Koch.
Die Geschichte des namen- und identitätslosen Pseudo-Kochs aka der Hund erfahren wir (vorwiegend) von dem Ich-Erzähler – einem Drogendealer, der mit dem Hund – der Hauptfigur des Romans – zum Beginn der Handlung gemeinsam an einem Fast-Food-Stand arbeitet, bis beide eines Tages durch einen halblegalen Deal als Aushilfen in der Küche des bekanntesten Star-Kochs der Stadt anfangen dürfen. An einem unerwarteten Moment entpuppt sich der Hund als das wahre Koch-Genie. Denn seine Gerichte schmecken himmlisch. Und sei es nur pures Wasser.
Doch wer der Hund eigentlich ist, weiß niemand:
Man erzählte sich, dass er während seiner ganzen Kindheit eingesperrt gewesen war, in einem dunklen Erdloch, irgendwo im Kosovo, ob das stimmt, weiß ich nicht. Angeblich wurde er unter einer Luke gefangen gehalten und sah in dieser Zeit keine Menschenseele. Und keinen einzigen Lichtstrahl. Nur absolute, rabenschwarze Stille. Jahrelang. Seine einzige Verbindung zur Außenwelt war das Essen. Das wurde ihm täglich durch eine Luke geschoben. Einfache Kost, lieblos zusammengeklatschte Essensreste. Meistens Brot, Bohnen, Kartoffeln. Manchmal Fleischreste vom Huhn.
Bereits nach wenigen Sätzen lässt sich erkennen, dass dieser Roman über eine poetische Sprache verfügt. Der Spannungsbogen ist so komponiert, dass den Leser einige überraschende Wendungen erwarten, auch wenn die Handlung nicht ganz stimmig und Manches einem nicht ausreichend motiviert vorkommen mag, wie z.B. der Besuch von Nido oder der Versuch der Konkurrenz, den Starkoch für sich zu gewinnen. Manchmal schimmert eine weitere Erzählinstanz durch, die zwar in die Köpfe der Figuren steigen kann, uns dennoch nur wenige Informationen liefert. Denn die Unwissenheit der Leser scheint das wichtigste Spannungselement dieses Romans zu sein. Man begleitet den Hund nämlich bis an die letzte Seite seiner Geschichte mit der leisen Hoffnung, dass sich einige der Geheimnisse auflösen mögen… vergeblich… Zudem ist die zweite Hälfte des Romans deutlich schwächer als die erste. Außerdem kommt die Geschichte einem bei der fortschreitenden Lektüre immer bekannter vor… zwar ist die Romanidee recht innovativ, doch strukturell zeigt der Roman gewisse Ähnlichkeiten zu „Das Parfum“ von Patrick Süskind: Eine gesellschaftlich nicht anerkannte, am Rande der Menschlichkeit existierende Figur, ein Genie in Kreation von Düften bzw. von Gerichten, das nicht gefeiert, sondern gefürchtet und gemieden wird. Des Weiteren münden beide Romane in Bacchanal, in eine Orgie der Massen.
Allerdings möchte ich dem Text mit meinem Urteil kein Unrecht tun. Denn schlecht ist er nicht und er findet sicherlich viele begeisterte Anhänger. Mit einer entsprechenden performativen Leistung hätte AKIZ sogar das Kölner Publikum für sich restlos gewinnen können. Ein erzählerisches Potential lässt sich in dem Buch auf jeden Fall erkennen. Und wenn man es will, so gibt es in dem Text, auch wenn ein wenig plakativ, sogar eine Botschaft, und zwar: Die meisten Menschen begegnen den Überfliegern mit Hass und Neid, denn am sichersten fühlt man sich in einer Gesellschaft, in der sich alle gleichen. Huch! Bin ich ungerecht?
Akiz: Der Hund_hanserblau_Textprobe
Der zweite Roman, für den man an diesem Abend hätte stimmen können, ist „Für immer die Alpen“ von Benjamin Quaderer (Luchterhand Verlag). Dieser 600 Seiten starke Roman erzählt die Geschichte eines Hochstaplers:
Mein Name war einmal Johann Kaiser. Wahrscheinlich haben sie von mir gehört. Ich bin vierundfünzig Jahre alt, von Sternzeichen Widder und lebe unter neuer Identität an einem Ort, von dem ich zu meinem eigenen Schutz einer erzählen darf.
Eine Person, die einen höheren gesellschaftlichen Rang oder größeres Vermögen vortäuscht, wird als ein Hochstapler bezeichnet. In diesem Sinne ist Johann Kaiser, der als Kind in einem Heim landet, weil seine Mutter verschwindet und der Vater sich um die Kinder nicht ausreichend kümmern kann, ein typischer Hochstapler, wenn er sich z.B. als Spross des Hilti-Unternehmens ausgibt, um von den Schülern der Privatschule in Barcelona als gleichwertiger Mitschüler akzeptiert zu werden. Anders aber als ähnliche Hochstapler-Figuren in der Literatur und Film handelt er zum Teil aus einem ausgeprägten Gerechtigkeitsanspruch. Dabei schafft er es, alle angetroffenen Personen für sich zu gewinnen, sodass sie ihn stets (meist finanziell) unterstützen. Erst als Carl und Renata Tobler ihr Vermögen verlieren und ihn als den Schuldigen ausersehen, wird es für ihn kurzzeitig ernst. Der Blatt wendet sich erneut ins Positive, als in seinen Besitz Datensetzen über „Briefkastenfirmen“ gelangen. Nun wird er zum Whistelblower und darf untertauchen. Eine Hochstaplergeschichte mit Elementen eines Kriminalromans.
Zwar zieht sich der Text an manchen Stellen in die Länge, womit die Geduld der Leser auf die Probe gestellt zu sein scheint, doch an meisten Stellen erleben wir eine schnelle Handlung mit einigen Wendepunkten. Zudem muss auf die strukturellen Elemente des Buches hingewiesen werden. Denn in kaum einem anderen Roman mag es so viele Fußnoten geben, wie in diesem. Ihre primäre Funktion ist sicherlich diejenige, dem Text Glaubwürdigkeit zu verleihen. So gibt es am Anfang etliche Verweise auf verschiedene literarische Werke, auf die im Text angespielt wird. Diese Quellennachweise gehen fast unmerklich in Bezüge auf die von der Figur selbst verfassten Tagebücher bzw. auf die angeblich geführte Korrespondenz des Protagonisten über, denn einer der Kapitel gibt z.B. vor, rekonstruiert zu sein, und besteht daher nur aus durch den Ich-Erzähler angefragten Beschreibungen, wobei seine Anfrage per E-Mail unter dem Betreff „Das Leben des Datendiebs als Sachbuch“ verschickt wurde. Auch in einer Fußnote erzählt er von seiner Begegnung mit Elton in Australien, wobei diese Fußnote zu einer eigenständigen Geschichte ausufert und der australische Freund später auch in dem Hauptstrang der Handlung auftaucht, womit er von einer Randfigur zu einer Nebenfigur wird. Ein weiteres textgestalterisches Element ist das Kapitel „Das zwölfte Buch“, das aus zwei verschiedenen Varianten des Textes besteht, die zwar dieselben Ereignisse beschreibt, doch unterschiedlich formuliert und aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich hierbei um ein spannendes Buch handelt, das zugleich über eine interessante Gestaltung verfügt. Ein Buch, über das man nach der erfolgten Lektüre noch gerne weiternachdenkt!
TEXTPROBE – Benjamin Quaderer „Für immer die Alpen“
Hätten uns die neusten Ereignisse nicht dabei gehindert, das kulturelle Leben auszukosten, hätte das Kölner Publikum Mitte März 2020 auf der Bühne eine aus Essen stammende Autorin begrüßen können: Amanda Lasker-Berlin mit ihrem Prosadebüt „Elijas Lied“ (Frankfurter Verlagsanstalt).
Es ist ein Tag aus dem Leben von drei ungleichen Schwestern, an dem sie eine gemeinsame Wanderung unternehmen, eine Wanderung, die allerdings verheerende Folgen hat…
Die Wanderung zum Berg im Moor zu beginnen war Loths Idee. Und die Schwestern hatten nichts dagegen. Noa zumindest nicht. Elija darf nicht mitbestimmen. Elija kann sich auch gar nicht an die erste Wanderung durch das Moor erinnern, glaubt Loth. Was weiß sie noch von Herbstferien, dem Geruch nach zu süßem Apfelkuchen, Spazieren zum Berg, Kassettenhören in der Ferienwohnung und den schnarchenden Eltern? Von dem zugezogenen Himmel, durch den nur manchmal stechendes Licht fällt, und den Gruselgeschichten, die Noa erzählt.
Amanda Lasker-Berlin hat sich (mutig) entschieden, ihrem Roman eine politische Note zu verpassen, denn eine ihrer Figuren – Loth – hat sich dem rechten Flügel angeschlossen. Eine Entscheidung, die ihre Familie nicht nachvollziehen und mit der sie nicht umgehen kann. Damit hat die Autorin einen Stoff gewählt, der viele LeserInnen auch emotional berühren wird, denn immer mehr Menschen fürchten davor, dass ihre Familie wegen abweichender politischer Ansichten auseinanderfallen könnte. Diese (Ur-)Ängste werden durch das gefährliche Setting verstärkt – der Wald und ein Moor, das in der Dunkelheit der Nacht eine tragische Tat verdeckt.
Einen Tag lang belgeiten die Leserinnen und Leser Noa, Loth und Elija bei dieser Wanderung durchs Moor und tauchen immer wieder in ihre Erinnerungen und Gedanken ein. Die personale Erzählsituation lässt uns zwar durch die Augen der Figuren schauen, doch selten in sie hinein. Das ist schade, denn die Rezensentin hätte gern von Loths Beweggründen erfahren, die sie zu der Entscheidung bewegt haben, sich den Rechtsextremisten anzuschließen. War es die fehlende Aufmerksamkeit der Eltern, die mit der Erziehung einer behinderten Tochter (Elija) überfordert waren und daher den jüngeren Tüchern nicht genug Aufmerksamkeit widmen konnten? War es nun die Möglichkeit, während ihrer Reden im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen? War es ein Ausdruck von Egoismus? Was es nur ein Zufall, gesellschaftlicher Druck oder einfach der Gruppenzwang, der sie während des Studiums in Leipzig unter die Rechtsextreme führte? Oder glaubt sie wirklich an die rechten Parolen? Wenn ja, warum? Oder war ihre politische Ausrichtung nur die schriftstellerische Laune auf Bedarf der Dramaturgie? Auch Loths Handlungen scheinen nicht immer nachvollziehbar, wie z.B. der Grund dafür, auf dem Rückweg den Schwestern wegzulaufen, oder ihr Wutausbruch in der Kapelle. Ähnlich widersprüchlich scheint mir Elija angelegt zu sein, denn einerseits ist sie Schauspielerin im Theater und macht den Eindruck einer zwar leicht verwirrten, dennoch durchaus selbstständigen Person. Andererseits ist sie aber nicht im Stande, ihre Schuhe selbst zu binden, benimmt sich kindisch und unternimmt zum Teil absurde Sachen. Auch hier fehlt es zuweilen an intrinsischer Motivation. Dies hat zur Folge die Minderung der Glaubwürdigkeit einer Figur.
Dennoch zeichnet sich dieser Roman durch ein hohes Lesevergnügen aus. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Ästhetik der Sprache dieses Romans sowie der sehr gut gemachten Übergänge zwischen den verschiedenen Erzählebenen. Zudem erobern die Figuren schnell die Herzen der Leserschaft, allen voran Elija, die lebensfrohe Natur, die sich nach einer Mutterschaft sehnt. Zum Schluss ist zu betonen, dass dieser Roman eben aufgrund der fehlenden Handlungsdirektiven eine Bewusstseinsänderung hervorrufen kann. Denn vielleicht wird einigen Leserinnen und Lesern nach der erfolgten Lektüre nun bewusst, dass wir im Umgang mit dem Rechtsextremismus noch viel Nachholbedarf haben…
Textprobe – Amanda Lasker-Berlin „Elijas Lied“
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