Ein Tagebuch des Vaters aus seinen Kinderjahren war der Auslöser zu diesem Roman. Denn nun eröffnete sich vor der Autorin ein Teil der bisher nicht bekannten Familiengeschichte. Dies ermutigte sie zur Recherche und bewegte schließlich dazu, um die Geschichte der eigenen Großmutter herum ihren ersten Roman aufzubauen. Entstanden sind dabei zwei zeitlich voneinander entfernte Geschichten, und zwar die in der Gegenwart platzierte Ehekrise von Isa und die Lebensgeschichte der Großmutter zu Zeiten des Zweiten Weltkrieges. Beide Geschichten haben dabei wahrscheinlich mehr Überschneidungen, Spiegelungen und Berührungspunkte als man dies zunächst vermuten würde.

„Als meine Großmutter starb, was ich drei Jahre alt. Es hieß, das Telefon habe am späten Abend geklingelt, und mein Vater nahm ab. Der Polizist begann ohne einführende Worte den Unfallbericht vorzulesen – so, als wäre der Tod eine bürokratische Angelegenheit und man könne seiner Wucht durch ein paar handfeste Formulierungen entkommen; Worte, wie sie Beamte benutzen, wenn sie ungeschützt zum Ort des Geschehens gerufen werden und beschreiben müssen, was sie sehen. Mein Vater unterbrach den Polizisten nicht. Er wartete, bis er zu Ende gelesen hatte, und fragte nach, worum es gehe.“
Klappentext:
Großmutter und Enkelin — und ein ganzes Jahrhundert in Deutschland
Isa steckt in einer Ehekrise. Tief verletzt flüchtet sie an den Bodensee. Im Gepäck alte Briefe und Tagebücher ihrer rätselhaften Großmutter Dora. Um den Schmerz zu verdrängen, befasst sie sich mit deren Geschichte: Dora studierte in den 1920er Jahren zusammen mit dem Bergarbeitersohn Frantek und der extravaganten Maritz am Bauhaus des Ruhrgebiets, der heutigen Folkwangschule. Aus einer intensiven Freundschaft entsteht ein Liebesdreieck. Später heiratet Dora einen Verwaltungsdirektor der I.G. Farben. Gesprochen wurde darüber in Isas Familie kaum. Welche Rolle spielte Isas Großvater im Zweiten Weltkrieg? Und warum besuchte ihr Vater eine der berüchtigten Napola-Schulen? Je tiefer Isa in ihre Familiengeschichte vordringt, umso klarer wird ihr Blick auf Dora — und auf sich selbst. Quelle: C. Bertelsmann Verlag
Auf den ersten Blick scheint dieser Roman eine sehr individuelle Geschichte zu sein, die wenig Relevanz für unsere heutige Gesellschaft aufweist. Doch der Schein trügt. Dabei geht es vordergründig nicht um die historischen Informationen bezüglich des möglichen Beitrags der I.G. Farben von BASF zum Massenmord während des Zweiten Weltkrieges, sondern schlicht und ergreifend um die Kraft, über den eigenen Stolz hinwegzusehen und dem Anderen zu verzeihen. Es ist ein Roman über zwischenmenschliche Beziehungen, über Enttäuschung, über die Macht und Ohnmacht der Frauen früher und heute, und darüber, wie man mit etwas Abstand die eigene Lebensgeschichte in anderen Farben erblicken kann. Die Figuren sind zuweilen unnahbar und distanziert, doch es gibt einige Momente, an denen man das Gefühl hat, ihnen näher zu stehen, als man dies gedacht hätte.
Bozena Badura im Gespräch mit Anja Hirsch (26.07.2021)
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Anja Hirsch
Anja Hirsch, geboren 1969 in Frankfurt am Main, studierte in Freiburg im Breisgau, Kanada und Bielefeld und wurde in Germanistik promoviert. Sie arbeitet als freie Journalistin für überregionale Medien (u.a. Deutschlandfunk, FAZ, WDR), war Mitglied in Fachjurys (Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium, Hotlistpreis der Unabhängigen Verlage) und lebt in Unna. »Was von Dora blieb« ist ihr Debüt.