Wie jedes Jahr möchten wir uns vor der Verkündung der Shortlist von ganzem Herzen bei allen teilnehmenden Autorinnen und Autoren sowie ihren Verlagen für das entgegengebrachte Vertrauen und die Aufgeschlossenheit gegenüber unserem Literaturpreis bedanken. Es war uns eine große Freude die eingereichten Titel zu lesen!

Nun soll das Warten aber ein Ende haben…

Aus knapp 90 eingereichten Titeln haben wir eine Shortlist erstellt, die fünf Debütromane umfasst. Die Titel sind nach Einreichungsdatum aufgeführt:

erschienen bei Hanser Berlin

Begründung:

Mit dem Gedanken, den sozialen Netzwerken den Rücken zu kehren und sich vollständig aus den Tiefen des Internets zu verabschieden, haben sicherlich bereits viele Menschen gespielt. Auch Mila, eine Wissenschaftlerin, deren Zeitvertrag nicht mehr verlängert wird, sieht sich plötzlich mit einer existentiellen Krise konfrontiert und beschließt, ihre digitalen Spuren zu löschen. Doch wohin führt so ein Experiment, wenn man es konsequent durchziehen würde? Jenifer Becker widmet sich in ihrem Roman „Zeiten der Langeweile“, einer scharfsinnigen Studie über das Leben im digitalen Zeitalter, genau dieser Frage.

Die Autorin seziert die moderne Gesellschaft, ihre Angewohnheiten, ihre Freizeitgestaltung und ihr soziales Leben innerhalb und außerhalb der digitalen Blase. So zwingt sie ihre Leser*innen auf eine subtile, jedoch nachdrückliche Weise dazu, das eigene Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen, ohne dabei belehrend zu wirken. Becker präsentiert mit ihrem Buch einen Aussteigerroman, der ein bisher literarisch noch nicht ausreichend verarbeitetes Bild der modernen Gesellschaft in neuem Licht erscheinen lässt.


erschienen bei Edition Nautilus

Begründung:

Was ist Kunst und welchen Stellenwert nimmt sie in der Gesellschaft ein? Woran erkennt man sie? Muss sie zwingend von einem Publikum betrachtet werden, um als solche zu gelten? Oder reicht es aus, wenn ein Kunstwerk nur von seinem Schöpfer betrachtet wird? Diese und weitere Fragen wirft Magdalena Saiger in ihrem Roman „Was ihr nicht seht“ auf, in dem sie die Geschichte eines Künstlers erzählt, der sich dazu entscheidet, sein erfolgreiches Leben in der Kunstbranche hinter sich zu lassen und abseits der Gesellschaft ein außergewöhnliches Kunstwerk zu erschaffen, ein Labyrinth aus Papier.
Mit sprachlicher Reife und einer tiefen Reflexion erzählt Saiger die Entstehungsgeschichte dieses Kunstwerks und wirft dabei nicht nur existentielle Fragen auf, sondern auch Gedanken darüber, wie Kunst im Allgemeinen betrachtet wird. Dabei gelingt es ihr durch fein nuancierte Andeutungen und clever konstruierte Szenen den Leser*innen einen aufwühlenden Einblick in den gesellschaftlichen Abnabelungsprozess eines Menschen zu geben, der darum ringt, sich selbst wiederzufinden; im Leben und in der Kunst.


erschienen im Karl Rauch Verlag

Begründung:

Mit „Kaspar“ hat Viktor Gallandi einen doppelbödigen und im besten Sinne herausfordernden Debütroman geschrieben, der von nichts weniger, als vom Menschsein erzählt.

Sein jugendlicher Protagonist Kaspar befindet sich in einem Raum, in dem er von einem Roboter versorgt wird. Warum er dort ist? In einem wilden Mix aus Dystopie, Sci-Fi, Roadnovel und Coming of Age folgen wir Kaspar bei dem Versuch, sich zu erinnern. Mit spürbar großer Fabulierlust rekapituliert Gallandi das Leben eines durch das gesellschaftliche Raster gefallenen Menschens, für den das Erzählen weniger Lust als vielmehr eine grundlegende Notwendigkeit birgt.

Das Spiel Gallandis mit Andeutungen, Auslassungen, Mehrdeutigkeiten und grotesken Verzerrungen besticht dabei durch seine enorme Leichtigkeit und sorgt für irrwitzige Momente, in denen einem das Lachen auch gern im Halse stecken bleibt. Um Worte ist Kaspar dabei nie verlegen. Gallandi findet für seinen Protagonisten einen ganz eigenen Sound, der mitreißend und betörend zwischen ironischer Distanziertheit und verletzlicher Nahbarkeit balanciert. Es sind diese Kontraste und Schnittstellen, an denen Kaspar sprachlich und inhaltlich zu einem regelrechten Erlebnis wird. Man ist nah dran an diesem Menschen, der auf eine Welt blickt, an der man nahezu verzweifeln muss, vor allem wenn man feststellt, dass sie trotz aller Verfremdung doch immer nur die Unsere war.


erschienen bei Voland & Quist

Begründung:

Tomer Dotan-Dreyfus legt mit seinem Debütroman ein bemerkenswertes Werk vor, das sich der Kategorie des magischen Realismus zuordnen lässt. Die fesselnde Handlung, unverwechselbare Figuren und die außergewöhnliche Verflechtung der Zeitebenen der Handlungsstränge sind nur einige Vorzüge dieses Romans. Der älteste Einwohner von Birobidschan, der Fischer Boris, wird unter mysteriösen Umständen getötet. Gleichzeitig taucht in der Stadt ein rätselhaftes, stummes Mädchen auf. Diese Ereignisse zwingen die Protagonisten dazu, sich auf eine Reise zu begeben – in unterschiedliche Richtungen mit unterschiedlichem Ausgang.

Die Stärke des Romans liegt nicht nur in der Kriminalgeschichte selbst, sondern auch in seinem unkonventionellen Setting innerhalb einer jüdischen Gemeinde. Zudem verleihen die symbolische und metaphorische Sprache sowie die ungewöhnliche Komplexität der behandelten Themen dem Buch eine besondere Tiefe. Eine innovative Herangehensweise an die Zeitstruktur des Romans, eine Überlagerung von Vergangenheit und Gegenwart, unterstreicht auf erfrischende Weise das erzählerische Können des Autors.


erschienen im Kanon Verlag

Begründung:

Es sind diese Feuer, die schon lange brennen, die stets klein gehalten, aber nie gänzlich gelöscht wurden, in die Grit Krüger Öl hineingießt. Mit ihrem Debütroman „Tunnel“ widmet sie sich Menschen am Rand unserer Gesellschaft und gibt den Armen und Alten eine Stimme. Vier Protagonisten aus teils unterschiedlichen Generationen, erzählen jeweils aus ihrer Perspektive vom tagtäglichen Kampf mit ihrer Armut oder den Erinnerungen daran. Dabei beweist die Autorin ein feines Gespür für ihre Protagonisten und der Art, wie man derart gesellschaftlich heikle Themen auserzählen muss, ohne bloße Schwarzmalerei zu betreiben und um Mitleid zu heischen. Krüger schreibt authentisch über Höhen und Tiefen und gibt den Protagonisten den nötigen Raum für Leerstellen, sodass sich genau dort, im Ungesagten, ein wahrhaftes Gefühlspanorama aus Scham, Hilflosigkeit, Ausbeutung und Überforderung finden lässt. Sprachlich überrascht die Autorin dabei immer wieder mit ungewöhnlichen Bildern und Dialogen, die noch lange nach der Lektüre nachhallen. 

Tunnel“ ist ein Debütroman von brennender Aktualität und hoher gesellschaftlicher Relevanz. Abseits von Plattitüden, herzzerreißendem Kitsch und bloßer Mitleidsheischerei hat Krüger einen berührenden Roman geschrieben, der die Feuer zu den Themen Kinderarmut, Armut und dem Umgang mit Alten in unserer Gesellschaft hoffentlich noch häufig auflodern lässt.


Aus diesen fünf Debütromanen wählen die teilnehmenden Literaturbloggerinnen und Literaturblogger ihren persönlichen Favoriten. Der Roman mit den meisten Stimmen wird als der beste Debütroman 2023 im Rahmen des Bloggerpreises für Literatur gekürt. Der Gewinner wird Anfang März auf dem Blog bekanntgegeben.

Uns interessiert natürlich auch eure Meinung dort draußen. Was haltet ihr von der Liste, welchen Roman hättet ihr die Shortlistnominierung gewünscht, habt ihr bereits Titel der Liste gelesen und wie haben sie euch gefallen? Wir freuen uns auf eure Kommentare.

5 Antworten zu „[Das Debüt 2023] Die Shortlist”.

  1. Hi ihr,

    da melde ich mich als langjähriges Jurymitglied und ehemaliger Blogger, Social-Media-Nutzer bei euch und gratuliere euch zu einer erneut guten und ausgewogenen Shortlist. Hätte zwar ein paar andere Titel darauf erwartet, aber generell ist es doch schön, wie unterschiedlich die ganzen Titel wahrgenommen werden.

    Für mich habe ich gleich den Titel aus dem Hanser Verlag ganz oben auf die Liste gesetzt, spiegelt er doch meine Situation sehr gut wieder. Habe ich doch ebenfalls alle Tätigkeiten im Netzt so gut wie eingestellt und alle Profile so gut es eben ging gelöscht.

    Ich bin gespannt, wer von dem 5 Büchern dieses Jahr das Rennen macht.

    Ganz liebe Grüße vom ehemaligen glücklichen Leser Marc.

    Gefällt 1 Person

    1. Hey Marc,
      schön, von dir zu lesen.
      Welche Titel hättest du denn auf der Liste erwartet?
      Danke, dass du hier trotz Ausstieg aus den Weiten des Netzes kommentiert hast. Das ist eine Ehre :)

      Liebe Grüße
      Janine

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      1. Hi Janine,

        mache ich doch gerne, bei euch kommentieren. Nach all den Jahren verschwinde ich doch nicht ganz ins analoge Nirvana. Ab und zu schaue ich bei meinen Lieblingsblogs schon noch vorbei, ohne, dass es zuviel wird für mich.

        Bezüglich der eingereichten Titel hatte ich selber noch drei auf dem Schirm, die ich gern auf der Shortlist gesehen hätte. Entweder vom Thema her oder weil ich sie stilistisch herausragend empfinde. Aber wie wir wissen, ist das natürlich alles subjektiv und ihr habt mit der vorliegenden Shortlist auch eine sehr schöne Auswahl getroffen.
        Also meine Titel wären noch gewesen:

        Gittersee
        Weil da war etwas im Wasser
        Schrödingers Grrrl

        Wie standen denn diese drei bei euch in der Gunst?

        Viele Grüße
        Marc

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