Am 22. September 2023 wurde in dem kleinen Marmordorf in der Gemeinde Laas (Südtirol/Italien) bereits zum 9. Mal der Franz-Tumler-Literaturpreis ausgetragen, für den folgende fünf Debütromane, die im Frühjahr 2023 veröffentlicht wurden, nominiert waren: „Drama“ (Septime Verlag) von Arad Dabiri, „oft manchmal nie“ (Residenz Verlag) von Cornelia Hülmbauer, „Sommer in Odessa“ (Kein und Aber) von Irina Kilimnik, „Alpha Bravo Charlie“ (Jung und Jung) von Tine Melzer sowie „Was ihr nicht seht“ (Edition Nautilus) von Magdalena Saiger.

Bereits zum vierten Mal begleitete der Literaturblog DasDebüt die Austragung des Preises vor Ort und wie schon in den früheren Jahren war ich begeistert davon, mit wie viel Engagement und Liebe für die Literatur sich alle Bewohner des Dorfes an dem Preis beteiligen. Schon alleine dafür verdient der kleine, aber feine und sehr professionell ausgetragene Literaturpreis ein besonderes Lob.

Vorab ist zudem herauszustellen, dass es dieses Jahr auf die Nominiertenliste hauptsächlich Debütromane aus den unabhängigen Verlagen geschafft haben, was nicht nur von einer gewissen Demokratisierung in der Verlagslandschaft zeugt, sondern insbesondere davon, dass sich auch Veröffentlichungen bei kleineren Verlagen einer Sichtbarkeit und eines Interesses innerhalt der Literaturblase erfreuen.

Wie schon in der Vergangenheit wurden einige Wochen im Vorfeld von den fünf, zum Teil wechselnden Jurorinnen und Juroren jeweils ein Debütroman nominiert. Der Jury gehörten dieses Jahr in alphabetischer Reihenfolge an: Robert Huez, Manfred Papst, Jutta Person, Gerhard Ruiss und Daniela Strigl.

Der Franz-Tumler-Literaturpreis begann mit einer festlichen Eröffnung, auf die am nächsten Tag fünf Lesungen und jeweils eine Jurydiskussion folgten, die sich dieses Jahr jedoch zu meinem Bedauern hauptsächlich auf Statements der Jurorinnen und Juroren begrenzte. Vermutlich liegt es daran, dass es bei dem Franz-Tumler-Literaturpreis nicht darum geht, die nominierten Bücher gegeneinander zu stellen, sondern im Sinne einer leser:innenorienterten Literaturvermittlung darum, das Publikum für ihre Lektüre zu begeistern. Dies war zudem daran erkennbar, als im Laufe der Diskussionen eine Frage danach auftauchte, ob die Jury überhaupt spoilern dürfe und welchen Einfluss dies auf die spätere Lektüre der Bücher haben mag. Dennoch waren sowohl die Lesungen als auch die Jurydiskussion interessant zu verfolgen, sodass sich trotz der sportlichen Länge des Wettbewerbs, nicht zuletzt musste das Publikum an einem Tag fünf Stunden Lesungen und Diskussionen aushalten, keinesfalls Ermüdungserscheinungen beobachten ließen.

Nun aber zu den nominierten Büchern und deren Bewertung durch die Jurymitgliedern.

Als erster durfte Arad Dabiri lesen, der einzige Autor des Wettbewerbs und der jüngste Kandidat der Veranstaltung. Sein Roman „Drama“ (Septime Verlag) erzählt von einem jungen Mann, der aus Wien nach Berlin geflohen ist, und nun auf die Einladung eines früheren Freundes nach Wien zurückkehrt, um an einem geheimnisvollen Dinner teilzunehmen. Zwar spielt sich die Handlung an einem Tag in der Gegenwart ab, doch die Lesenden werden in die Vergangenheit verschiedener Figuren entführt. Schon früh vermutet man bei dem dubiosen Dinner einen Selbstmordversuch, was allerdings nur zum Teil stimmt. Außer einer auf Spannung angelegten Handlung bietet der Roman einen Kommentar zu mehreren gesellschaftlich relevanten Themen sowie eine Einführung in den Mindset der Generation Z, ihre Weltanschauung, Ängste und Hoffnungen.

In den Jurystatements wurde „Drama“ als ein Großstadtroman und Wien als eine Stadt der Dekadenz und voller Abbrüche gedeutet. Überzeugt hat u.a. die direkte Sprache des Romans, in der ein ungewöhnlicher Sprachpathos der Popkultur hörbar wird, sowie ihre Dichte, die u.a. durch Verknappung und Wiederholungen erreicht wurde. Auch das Spiel mit der Leserschaft, die im Laufe der Lektüre ungefragt zum Publikum des ungewöhnlichen Essens und mitinszeniert wird, wurde als gewinnbringend gewertet, wobei eine gewisse Anarchie in dem Roman auch zum Programm wird. Abschließend wurde der Roman als eine Geschichte des „Angry Jung Man“ bezeichnet.

Als zweites Buch wurde „oft manchmal nie“ von Cornelia Hülmbauer präsentiert. Der lyrisch klingende Roman setzt sich aus kleinen Erinnerungsbildern bzw. Vignetten, die einen in das Österreich von damals entführen, zusammen. Wir begleiten hier ein kleines Mädchen, das sich an verschiedene Momente aus seinem Leben erinnert, womit Schlaglichter auf religiöse Bräuche, Familienereignisse, Alltagssituationen und die langsame Veränderung in der Gesellschaft geworfen werden.

Die Jury lobte die vielfältige Lesart des Romans, den man als Fotoalbum, als Bilderbuch, Familiengeschichte, Weitergabe der Traditionen lesen kann. Er erzählt vom soziologischen Wandel der Welt. Der Roman, der ähnlich wie die Erinnerung arbeitet, verfügt über lyrische Elemente, die sich u.a. durch die Beschäftigung mit sprechenden Details zeigen. Die reduzierte und konzentrierte Sprache, die mit Aussparrungen arbeitet und in der es kein Zuviel an Worten gebe, entwickelt oft eine Situationskomik sowie zahlreiche poetische Pointen, die immer genau an der richtigen Stelle enden.

Mit „Sommer in Odessa“ von Irina Kilimnik wurde eine Familiengeschichte nominiert. Wir lernen u.a. Olga kennen, eine Medizinstudentin, und ihren kuriosen Großvater, der wie ein Despot über die Frauen der Familie, seine drei Töchter und mehrere Enkelinnen, herrscht. Allesamt Frauen. Als der frühere Freund plötzlich zu Besuch kommt, wittert der Großvater Probleme. Und wie es sich im Laufe des Romans herausstellt, gibt es in der Familie mehr Geheimnisse, als man es vermuten würde.

Bei diesem Roman handelt es sich um eine traditionell erzählte Geschichte sowie um ein Stadtpanorama. Wir schreiben das Jahr 2014. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland ist bereits im Gange und auch innerhalb der Bevölkerung sichtbar, dennoch scheint der Sommer wie jeder andere zu sein. „Sommer in Odessa“ gibt vor, es handle sich hierbei um eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte. Doch in dieser Geschichte prallen die alte und die neue (sowohl politische als auch gesellschaftliche) Ordnung aufeinander. Außerdem ist dieser Roman ein Pageturner, bei dem die Figuren, das Tempo der Handlung und der Witz dazu führen, dass man nicht aufhören kann zu lesen. Dabei kommt auch der sinnliche Genuss, ob bei der Beschreibung von Hitze oder vom Essen, nicht zu kurz.

Mit „Alpha Bravo Charlie“ von Tine Melzer wurde zugleich der Gewinnerroman der diesjährigen Ausgabe des Preises nominiert. Dieser kurzweilige Roman erzählt einen Tag aus dem Leben eines pensionierten Kurzstreckenpiloten, namens Johann Trost, der nun sein Leben neu strukturieren muss. So versucht er zum Beispiel ein neues Hobby zu etablieren, Modellbau, besucht seinen Arzt, beobachtet die Nachbarschaft und bekommt am Ende des Tages einen unangekündigten Besuch.

Mit diesem Roman wird ein Außenseiter präsentiert, der wieder dazugehören möchte. Wie bei keinem anderen Roman des Wettbewerbs haben sich einige der Jurymitglieder dazu verleiten lassen, zuzugeben, sich in der Figur des Johann Trost selber erkannt zu haben. Gelobt wurde außerdem der Witz des Romans sowie sein überraschendes Ende.

Magdalena Saiger präsentierte mit ihrem Roman „Was ihr nicht seht“ eine Geschichte eines Kunstmenschen, der sich dazu entschließt, ein Kunstwerk zu erschaffen, das jedoch niemand zu Sicht bekommen soll. So zieht sich der Protagonist in ein verlassenes Dorf zurück, um ein Labyrinth aus Papier zu bauen, schließt eine ungewöhnliche Freundschaft mit einem der ehemaligen Dorfbewohner, der ihm jede Menge Geschichten über die ehemalige Gemeinde erzählt, und zerstört schließlich sein Kunstwerk, nachdem es über mehrere Monate sorgfältig geplant und aufgebaut wurde.

Bei diesem Protagonisten handelt es sich um eine Figur, die sich aus der Gesellschaft bewusst herauszieht, wobei es keinesfalls um eine transzendentale Flucht gehe, vielmehr um die Schönheit der Kunst, die der Natur und um das Erhabene. Dies alles wird mit dem kapitalistischen Markt kontrastiert, der hier stets als das Böse fungiert. Gelobt wurde an dem Roman mehrfach, dass er sich traut, eine Geschichte zu erfinden.

Nominiert wurden für den 9. Franz-Tumler-Literaturpreis fünf sehr unterschiedliche Romane, die allesamt auf einem hohen literarischen Niveau einzustufen sind. Trotz der Unterschiede lassen sich jedoch unter ihnen einige Überschneidungen erkennen, und zwar spielt gleich in zwei Romanen die Kunst eine bedeutende Rolle. Auch die Frage nach der Zugehörigkeit zu der Gesellschaft bzw. zu der Familie wird des Öfteren verhandelt. Auffällig ist zudem, dass die meisten der nominierten Romane auch gesellschaftlich relevante Fragen aufwerfen, wie z.B. was ist Kunst? Welchen Rahmen braucht sie, um als Kunst anerkannt zu werden? Wie lebt man, wenn man nach dem Ende der Berufstätigkeit so leben kann, wie man es theoretisch möchte? Darf Sterbehilfe ohne Ausnahmen geleistet werden? Gehört Depression, zu deren Symptomatik oft der Todeswunsch gehört, auch dazu?

Und welche dieser Romane haben das Publikum und die Jury überzeugt?

Der Publikumspreis ging 2023 an Irina Kilimnik für „Sommer in Odessa“. Die Jurorinnen und Juroren konnte für sich Tine Melzer mit „Alpha Bravo Charlie“ gewinnen.

Der Literaturblog DasDebüt gratuliert den Gewinnerinnen sowie allen nominierten Autorinnen und dem Autor. Wir wünschen allen viel Erfolg für die aktuellen Bücher sowie für alle zukünftigen Projekte. Den Organisatoren des Franz-Tumler-Literaturpreises sowie der Gemeinde Laas danken wir für die Möglichkeit, dem Preis vor Ort beigewohnt zu haben.

Hier geht es zur der Internetpräsenz von Franz-Tumler-Literaturpreis.

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