Wie jedes Jahr möchten wir uns vor der Verkündung der Shortlist von ganzem Herzen bei allen teilnehmenden Autorinnen und Autoren sowie ihren Verlagen für das entgegengebrachte Vertrauen und die Aufgeschlossenheit gegenüber unserem Literaturpreis bedanken. Es war uns eine große Freude die eingereichten Titel zu lesen!

Nun soll das Warten aber ein Ende haben…

Aus 93 eingereichten Titeln (etwa 25.000 Seiten) haben wir eine Shortlist erstellt, die fünf Debütromane umfasst. Die Titel sind nach Einreichungsdatum aufgeführt:

Ariane Koch – Die Aufdrängung

erschienen beim Suhrkamp Verlag

Begründung

Mit „Die Aufdrängung“ hat Ariane Koch einen ungewöhnlichen, zwischen Gewalt und Humor schwankenden Debütroman geschrieben. Die Leser:innen erleben hier eine Ich-Erzählerin, die einen unbekannten (und auch undefinierten) Gast aufnimmt, der ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Nach Außen erfährt sie allgemeine Anerkennung der Mitbürger:innen, zwischen den vier Wänden ihres Hauses zeigt sie sich allerdings zwanghaft, gewaltbereit bis despotisch. Liest man den Roman nur auf seiner Textoberfläche, dann begegnet man einer sozial wenig angepassten Frau, die nach ihrem eigenen Platz in der Welt sucht. Denn der Gast – als eine 12784besondere Projektionsfläche – ruft durchaus eine Auseinandersetzung der Ich-Erzählerin mit sich selbst hervor. Begibt man sich hingegen auf die Tiefenebene des Romans, dann eröffnen sich neue Deutungsperspektiven, in denen es um die Gastfreundschaft geht, um kulturelle Codes und Unterschiede, und um den Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden. Trotz dieser Interpretationspotentiale entzieht sich der Text immer wieder der Eindeutigkeit und einer abschließenden Lesart: Mit jeder weiteren Lektüre finden sich neue Aspekte, kommen neue Sichtweisen und Erkenntnisse zum Vorschein. Und genau darin liegt die besondere Qualität dieses schmalen (und doch so großen) Romans.

Sharon Dodua Otoo – Adas Raum

erschienen bei S. Fischer

Begründung

In ihrem Debütroman „Adas Raum“ fordert Sharon Dodua Otoo ihre Leser:innen auf mehreren Ebenen heraus. Sie etabliert nicht nur die ungewöhnliche Erzählperspektive eines Geistes, der immer wieder als ein anderer Gegenstand wiederkehrt, um die nächste Inkarnation der Ada zu begleiten, sondern auch vier Ada-Figuren, die sich auf eine wundersame Art und Weise wiederholen, deren Schicksale miteinander verbunden, ja regelrecht verflochten sind. Mit den Geschichten der vier Adas bezieht sich Otoo stets auf verschiedene gesellschaftliche Diskurse, hier insbesondere den strukturellen Rassismus, Vergangenheitsbewältigung, den Kolonialismus und den Holocaust. 9783103973150Dieser Roman will viel, ist geprägt durch mannigfaltige Themen und Wendungen, was von dem Leser durchaus eine aufmerksame Lektüre erfordert, nicht zuletzt aufgrund der Zeitsprünge zwischen den jeweiligen Ada-Figuren. So entsteht eine Mosaik aus Erfahrungen und Geschichten – und am Ende die Hoffnung auf eine positive Entwicklung. Sharon Dodua Otoo beweist schriftstellerischen Mut, indem sie sprachlich souverän den sicheren Erzählpfad verlässt, um Neues zu wagen.

Thomas Arzt – Die Gegenstimme

erschienen im Residenz Verlag

Begründung

Thomas Arzts Debütroman „Die Gegenstimme“ überzeugt mit einem politischen Blick auf das Genre des Dorfromans. Wir erleben ein österreichisches Dorf im Jahre 1938, dessen Einwohner sich beinahe einstimmig für den Anschluss ihres Landes an Hitlerdeutschland9783701717361 aussprechen. Nur eine Gegenstimme gibt es. Die Gemeinde vermutet hinter dieser Gegenstimme Karl, den „Studierten“, und beginnt mit einer Hetze gegen ihn. Der Autor nutzt die Innensicht einiger ausgewählter Figuren, um von dem fortschreitenden Ausschluss Karls aus der Gemeinschaft zu erzählen. Der Blick auf und in die Köpfe seiner Figuren ist dabei stets nah, die gewählte Erzählperspektive hingegen erschafft die nötige Distanz, um das Geschehen auch betrachten und bewerten zu können. Arzt bedient sich einer eingängigen dialektal inszenierten Sprache, die mit ihrem ganz eigenen Rhythmus einen regelrechten Sog entwickelt. „Die Gegenstimme“ – als historisch fundierter Roman – ist eine Geschichte über das Mitläufertum, über die tiefen Gräben zwischen der Stadt und den ländlichen Gebieten, und über den Kampf um Selbstbestimmung.

Jessica Lind – Mama

erschienen bei Kremayr & Scheriau

Begründung

„Mama“ von Jessica Lind ist ein Roman, der sich dem Thema Mutterschaft in all ihren verschiedenen Facetten widmet; ein Thema, das gerade in den letzten Jahren vermehrt Eingang in die Literatur gefunden hat. Als Leser:innen begleiten wir die Protagonistin durch die verschiedenen Phasen des Mutter-Daseins. Dabei wird auch die Auseinandersetzung mit der Außenwelt thematisiert, denn auf der allegorischen Ebene sehen wir eine Mutter, die image-978-3-218-01280-5sich gegen externe Einflüsse behaupten muss. Eine, die Verlustängste hegt, die ihr Kind vor dem Bösen der Welt schützen möchte, aber auch eine, die mit ihrer Mutterrolle und den daraus resultierenden gesellschaftlichen Anforderungen durchaus überfordert ist. Dabei bedient sich Jessica Lind gekonnt einer romantischen Motivik. Der Roman ist ausgesprochen aktuell, denn für viele Frauen ist das Balancieren zwischen Mutterrolle und beruflicher Selbstverwirklichung ein Drahtseilakt. So entpuppt sich „Mama“ als eine doppelbödige Geschichte, die auf künstlerische Art und Weise nach den vorherrschenden Rollenbildern unserer Gesellschaft fragt.

Stefanie vor Schulte – Junge mit schwarzem Hahn

erschienen bei Diogenes

Mit ihrem Debütroman belebt Stefanie vor Schulte ein traditionelles Genre wieder, das in der modernen Literatur, vor allem unter Debütant:innen, kaum noch zu finden ist. „Junge mit schwarzem Hahn“ ist als klassisches Märchen konzipiert und bringt alles mit, was ein solches braucht. Wir begegnen im Text typischen Dichotomien, einem jungen Helden, der sich trotz aller Rohheit, in der er aufwächst, seine Reinheit bewahrt hat, einem Helfer in Form eines sprechenden Hahns und erleben mit dem jungen Protagonisten eine abenteuerliche junge-mit-schwarzem-hahn-9783257071665Reise, die voller Herausforderungen steckt. Die vordergründig klar gegliederte Welt ist zuweilen düster und grausam, die Autorin ist in ihrer Ausgestaltung aber nie effekthascherisch. Ihr Blick auf diese Welt ist oft humorvoll und voller sozialkritischer Seitenhiebe. Stefanie vor Schulte überzeugt vor allem mit einer stark ausgeprägten Symbolik, die sich trotz aller Deutlichkeit nicht unangenehm aufdrängt oder die Geschichte überfrachtet. Sie bewegt sich sicher mit einer dem Genre angemessenen einfachen, dabei aber enorm bildhaften Sprache durch den Text. „Junge mit schwarzem Hahn“ entzieht sich durch seine traditionelle Form den typischen Neuerscheinungen und ist gerade in dieser Unaufgeregtheit ein echtes Highlight.

Aus diesen fünf Debütromanen wählen die teilnehmenden Literaturbloggerinnen und Literaturblogger ihren persönlichen Favoriten. Der Roman mit den meisten Stimmen wird als der beste Debütroman 2021 im Rahmen des Bloggerpreises für Literatur gekürt. Der Gewinner wird Anfang des kommenden Jahres auf dem Blog bekanntgegeben.

Uns interessiert natürlich auch eure Meinung dort draußen. Was haltet ihr von der Liste, welchen Roman hättet ihr die Shortlistnominierung gewünscht, habt ihr bereits Titel der Liste gelesen und wie haben sie euch gefallen? Wir freuen uns auf eure Kommentare.

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