1998
Georg Klein // 1998

Da Debüt „Anfang“ heißt, müsste das sogenannte literarische Debüt doch ein bestimmtes Beginnen bezeichnen. Aber was oder wer beginnt hier eigentlich womit? Dass derjenige, der plötzlich als Debütant gehandelt wird, erst vor kurzem mit dem Schreiben begonnen hat, dürfte höchst selten der Fall sein. Fast immer gibt einen Vorlauf, der in der Regel mindestens ein paar Jahre umfasst. Bei mir liegen zwischen den ersten ernsten Schreibversuchen in den mittleren 70er Jahren und der ersten Buchveröffentlichung 1998 sogar mehr als zwei Jahrzehnte.
Auch Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien gelten in der Regel nicht als Debüt, und ein Gedichtband in einem Lyrikverlag wird, wenn es irgendwann später zum „echten“ Debüt mit einem Prosaband kommt, nur als eine Art Vorspiel verstanden werden. Ein befreundeter Kollege hatte sogar schon zwei Romane an entlegener Stelle gedruckt bekommen, aber wie dann der dritte bei einem bekannten Verlag herauskam und schnell einen Preis erhielt, wurde sein Verfasser durchweg als „Debütant“ bezeichnet.
Langer Einleitung kurzer Sinn: Ein literarisches Debüt ist nichts Naturhaft-Körperliches wie die Geburt, die Milchzähne, der Stimmbruch oder die erste Menstruation. Ein solches Debüt ist aber auch keine gesellschaftlich eindeutig definierte und fraglos akzeptierte soziale Wegmarke wie die Einschulung, das Abitur, die erste feste Arbeitsstelle oder eine Eheschließung. Als Rahmenmerkmale lassen sich sich allenfalls drei ungefähre Umstände festhalten. Bei einem literarischen Debut handelt sich meistens um:
– ein längeres Prosawerk, sehr oft um einen Roman
– verfasst von einem relativ jungen Zeitgenossen
– erschienen in einem halbwegs renommierten VerlagGeorg Klein - Libidissi
Im Fall meines ersten Buches, des Romans „Libidissi“, trafen nur zwei dieser Merkmale zu, denn ich war bereits 45 Jahre alt. Es handelt sich aber, wie gesagt, nur um Rahmenmerkmale, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorliegen, aber nicht obligatorisch sind. Die drei genannten Punkte sind auch nicht hinreichend oder entscheidend. Der größte Teil der Bücher, auf die diese Attribute (Roman, junger Autor, nicht zu kleiner Verlag) zutreffen, bleibt nämlich gewissermaßen unter der Debüt-Schwelle, einfach weil sie gar nicht als Debüts bemerkt, benannt und anerkannt werden.
Denn Debüt ist vor allem eine Zuschreibung. Eine belletristische Neuerscheinung gilt als Debüt, weil man sie an maßgeblichen Stellen so nennt. Diese entscheidende Zuschreibung wurde bei meiner ersten Buchveröffentlichung noch fast ausschließlich vom „alten“ Hochfeuilleton der großen Zeitungen vollzogen. Dort ist „Libidissi“ Herbst 1998 besprochen worden, und der Autor wurde damit, quasi in einem Aufwisch, zum Debütanten getauft.
Eine solche Doppeltaufe gilt allerdings nicht für die Ewigkeit. Das Debüt des Buchs und das Debütantentum seines Verfassers sind Zuschreibungen auf Zeit. Nach zwei, spätestens drei Jahren muss ein weiteres Buch auf ähnliche Weise angenommen werden. Debüt bleibt nämlich nur Debüt, wenn sich dem Anfang eine erfolgreiche Fortsetzung anschließt. Dies gelingt in der Mehrzahl der Fälle nicht. Die derart verunglückten Autoren müssen dann mit einer gewissen Verzögerung begreifen, dass ihr Literaturbetriebsbeginnen nur ein scheinbares war. Ihr Debüt bedeutete zugleich schon eine Art Ende. Und interessanterweise gibt es für dieses Verenden kein vergleichbar selbstverständliches Wort. Um es auf einen zynischen Begriff zu bringen: Jedes sogenannte Debüt birgt in sich die Wahrscheinlichkeit des Rohrkrepierers. Was als Schuss auf Zukunft zielte, bleibt unter Umständen in seinem verheißungsvollen Anfang stecken und verpufft, leicht verzögert, zu nahezu Nichts.
Georg Klein - Barbar RosaDas hätte mir durchaus auch passieren können. Seltsamerweise erlebte ich aber etwas Anderes: eine Art nachgetragenes, zweites Debüt. Sommer 2000 gewann mein unveröffentlicher Kurzroman „Barbara Rosa. Eine Detektivgeschichte“ den Ingeborg-Bachmann-Preis. Der Text war zu diesem Zeitpunkt bereits knapp zehn Jahre alt. Anfang der 90er des vorigen Jahrhunderts wäre „Barbar Rosa“, so naiv war ich, mein Wunschdebüt gewesen. Während ich damals, ungefähr drei Jahre lang, nach einem Verlag für „Barbar Rosa“ suchte, war ich sogar felsenfest überzeugt, dass kein anderer als eben dieser Text zwangsläufig meinen Eintritt in den Literaturbetrieb bedeuten müsse, einfach weil er die erste lange Prosaarbeit war, die mir nach einigen verbissenen Fehlversuchen rundum gelungen schien.
Nun kam der Text Frühjahr 2001 als mein drittes Buch, mit einer Dekade Verspätung und in Klagenfurt vorab preisgekrönt, zur Welt, fand viel Beifall bei der Kritik und verkaufte sich auch recht gut. Aber obwohl ich aus dem Alter des Textes und der Vorgeschichte seines Erscheinens keinen Hehl machte, wurde er nirgendwo als das verspätete, lang unmöglich gewesene Debüt wahrgenommen, das er für mich mit einiger Berechtigung darstellte.
Debüt ist, wie gesagt, eine Zuschreibung. Auch der cleverste Debütant erleidet, was im da widerfährt, auf eine ziemlich hilflose, manchmal masochistisch lustvolle, gelegentlich komische, bisweilen auch schlimm bittere Weise. Ein Debüt kann stets das baldige Ende all dessen bedeuten, was doch angeblich gerade erst angehoben hat. Und vielleicht ist es in vielen Fällen sogar günstig, wenn der Debütant möglichst wenig über die Fallstricke und Hintertüren seines betrieblichen Beginnens, also über die Tücken dieser fatalen Etikettierung weiß.

© Georg Klein

Libidissi //1998 – Barbar Rosa // 1991/2001

Verlag: Rowohlt


© Frank Zauritz
© Frank Zauritz

Georg Klein wurde 1953 in Augsburg geboren, studierte in Augsburg und München Germanistik, Geschichte und Soziologie und veröffentlichte 1984 erste Erzählungen in diversen Literaturzeitschriften. Obwohl er bereits 1991 seinen ersten Roman Barbar Rosa fertigstellte, trat er mit Libidissi, seinem Nachfolgeroman, als Debütautor in den Feuilletons in Erscheinung. Erst nach diesem ersten Erfolg wurde sein eigentlich erster Roman 2001 veröffentlicht. Insgesamt hat er bisher sechs Romane und einige Erzählbände herausgebracht, ihr könnt euch hier über seine Werke informieren. Für seine Prosa wurden ihm der Brüder-Grimm-Preis und der Bachmann-Preis verliehen; für den 2010 erschienenen Roman unserer Kindheit erhielt er den Preis der Leipziger Buchmesse. Im Herbst 2013 erschien sein aktueller Roman Die Zukunft des Mars.

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