Wir setzen unsere Interviewreihe mit Ana Marwan fort, die es mit ihrem Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“ auf die Shortlist geschafft hat.

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© christian huber fotografie

Ana Marwan wurde 1980 in Murska Sobota (Slowenien) geboren, Aufgewachsen ist sie in Ljubljana, wo sie ihr Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft absolvierte. Mit 25 Jahren siedelte sie nach Österreich, wo sie Romanistik in Wien studierte. Seit 2014 widmet sie sich nach einem einjährigen Sabbatical, welches sie auch zu ihrem Debütroman „Der Kreis des Weberknechts“ inspirierte, ausschließlich dem Schreiben und der künstlerischen Fotografie. 2008 war sie Preisträgerin des exil-literaturpreises „schreiben zwischen den kulturen“. Marwan schreibt Kurzgeschichten, Romane und Gedichte auf Deutsch und Slowenisch.


Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

Das richtige tägliche Schreiben (und Nichtschreiben) hat ungefähr 2 Jahre gedauert.

Wie schwierig gestaltete sich die Verlagssuche?

Heute habe ich das falsche Gefühl, dass es damals nicht so schwierig war. Dinge werden leicht selbstverständlich, nachdem sie passiert sind, egal wie unwahrscheinlich sie vorher waren. Aber ich kann mich sehr gut erinnern, dass es mir noch vor zwei Jahren unmöglich erschienen ist, dass mein Buch jemals erscheinen wird. Ich habe mich schon gezwungen gefühlt, akzeptieren zu müssen, dass ich nur für mich selbst schreibe. Ich glaube, ich hatte großes Glück, dass meinem Verlag das Manuskript gefallen hat.

Was war es für ein Gefühl, dein fertiges Buch in Händen zu halten?Cover_Der-Kreis-des-Weberknechts_Ana-Marwan_2019-847x1200

Komischerweise habe ich nicht die Euphorie empfunden, die ich erwartet habe. Ich habe viele Schriftsteller sagen gehört, dass das das schönste Gefühl am Ende des schwierigen Arbeitswegs ist; aber ich habe mein Buch fast wie ein Tabu betrachtet und es gleich im Bücherregal versteckt. Ich habe es bis zur ersten Lesung nicht aufgeschlagen. Komisch — ich mag mein Buch, und die Zusammenarbeit mit dem Verlag und mit der Lektorin war wundervoll. Vielleicht habe ich Angst vor Dingen, die ich nicht mehr ändern kann?

Warum schreibst du wie du schreibst?

Ich würde gerne sagen: „Weil ich anders nicht kann“, aber das glaube ich nicht. Ich glaube schon, ich hätte auch anders können. Sicher bin ich mir nicht. Ich habe mich viel mit Fragen des Stils beschäftigt, z.B.: ist er Entscheidungssache oder etwas Inhärentes. Dann bin ich auf eine Passage in Gombrowiczs Ferdyurke gestossen, die mir sehr gut gefallen hat — er schreibt, wie einem Schriftsteller ein heroischer Anfangssatz eingefallen ist und dann mussten ihm, damit alles stimmig war, auch der dritte und der vierte im gleichen Stil folgen, bis er als heroischer Autor gefeiert wurde und von ihm noch weitere heroische Bücher erwartet wurden — obwohl er auch witzig hätte sein können.

Wie kann man sich deinen Schreibprozess vorstellen?

Ich schreibe jede Geschichte ein wenig anders. Manchmal wachsen sie wie von selbst gerade wie eine Tanne; manchmal füge ich dann zusätzlich noch einige Äste hinzu, so wie das letztes Jahr beim Weihnachtsbaum vor dem Rathaus in Wien gemacht wurde, damit er schöner wurde; manchmal fertige ich einfach hunderte von Mosaiksteinen an und hoffe, dass sich am Schluss daraus ein Bild machen lässt. Oft, wenn ich unzufrieden bin, lösche ich am Schluss alles, behalte nur ein paar Sätze und fange neu an.

Gibt es Autoren oder Bücher, die dich und dein Schreiben beeinflusst haben?

Es hat mich sicher vieles, das ich gelesen habe, beeinflusst; so wie vieles, das ich erlebt habe. Ich mag, was Valery sagt: dass ein Löwe aus einem verdauten Schaf besteht. Ich will mich jetzt nicht mit einem so imposanten Tier wie einem Löwen vergleichen, und auch nicht meine Vorbilder mit Schafen, aber so sinngemäss. Ich glaube auch, dass man Vorbilder anhand von Affinität nennt, also ist dieses Wort vielleicht irreführend. Ich mag Autoren, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie die ganze Tragik der Welt empfinden und sich ihr mit einer leicht humorvollen Haltung widersetzen, ohne gewinnen zu wollen. Eine solche Haltung ist mir sehr nah. Die einzige Autorin, die ich leidenschaftlich lese, obwohl ich (leider) nicht viele Ähnlichkeiten feststellen kann, ist Virginia Woolf. Sie bewundere ich sehr.

Ist ein weiteres Buch geplant?

Mein neues Buch schreibe ich diesmal auf Slowenisch, und es ist auch schon fast fertig. Ich setze mich diesmal wieder (aber auf eine andere Weise) mit Vorurteilen auseinander: Ich überlege, inwiefern sie ein integraler Teil des Abstrahierens, d.h. Denkens, sind, und wieweit vermeidbar. Die Protagonistin ist diesmal eine (sehr langsam) heranwachsende Frau, die eine komplette Metamorphose durchmacht: Larve – Puppe – und dann entweder Fliege oder Schmetterling sie weiß nicht genau, als welches Tier sie in die Welt fliegt.


Vorstellung in Büchern:

Nenne ein wichtiges Buch…

… aus deiner Kindheit 7f52975f428f5f5bd64fc1bdebb3f8152c9be136_u1_978-3-7891-2944-5_hc_xl_2d

Lindgrens Pippi Langstrumpf. Ich mochte, dass sie sich von keinen Regeln einschränkten ließweder von denen des guten Benehmens noch von denen der Logik. Ich konnte ihrem Vorbild aber nur folgen, indem ich mir ähnliche Zöpfe geflochten habe.

… aus deiner Jugend 51AL2N+mmfL

Doyles Sherlock Holmes. Damals mochte ich das Dunkle und das Mysteriöse. Vor allem mochte ich aber (das sage ich jetzt mit der heutigen Distanz), dass ich in diesem falschen Gefühl der Sicherheit gewogen wurde, dass man durch genaue Beobachtung die Wahrheit erkennen kann. Vor allem was Menschen betrifft. Jetzt weiß ich, dass das Fiktion war. Man kann plausible Erklärungen finden, die aber mit der Wahrheit wenig oder nichts zu tun haben.

… aus deiner aktuellen Lebensphase M03596206960-large

Momentan lese ich wieder Die Blendung von Canetti und ärgere meinen Mann, indem ich Therese nachahme und Dinge sage wie „Das wär noch schöner“ und „Aber ich bitt Sie“ und „Reden kann jeder“. Aber nein, ich habe keine Vorbilder, nur Affinitäten:)

… das du dir für die Gegenwartsliteratur wünschen würdest, das aber noch nicht geschrieben wurde.

Ich habe mir schon immer ein unpaginiertes E-Buch gewünscht. Bei dem man die Entwicklung nicht anhand von der Seitenanzahl vermuten kann. Bei dem man, lebensähnlich, nie weiß, wann es endet und ob es einen Sinn ergeben wird.


Der Kreis des Weberknechts (Otto Müller Verlag)

Hardcover // 196 Seiten // 22 € // 978-3-7013-1271-9

2 Antworten zu „[Interview] Ana Marwan”.

  1. Wie ich mich freue auf den neuen Roman!

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  2. […] Und hier noch  zum Interview auf der Debutpreisseite. […]

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