Ein  spannendes und umfangreiches DebütantInnenjahr liegt hinter uns. Insgesamt 93 Debütromane wurden für den diesjährigen Preis eingereicht, wir haben uns durch 25.000 Seiten gelesen und eine Shortlist aus fünf Titeln erstellt. Nun hat unsere BloggerInnenjury über „Das Debüt 2021“ entschieden:

Der Bloggerpreis für Literatur „Das Debüt 2021“ geht mit insgesamt 44 Punkten an Jessica Lind für ihren Debütroman „Mama“.  Das Team von „Das Debüt“ gratuliert herzlichst!

© Mercan Sümbültepe

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Hier einige Auszüge aus den Begründungen der BloggerInnen:

Mikka Gottstein: „Dieser Roman ist so vielschichtig, so voller Symbolik, dass sicher keine zwei Leser:innen ihn auf dieselbe Art und Weise interpretieren werden. […] Ich konnte mich der Geschichte von der ersten Seite an nicht entziehen. Sie hielt mich gepackt, mit einem Gefühl der dräuenden Verdammnis und gleichzeitig dem Wunsch nach einer Versöhnung der Erzählerin mit sich selbst.“

Marc Richter: „Mit Mama hat Jessica Lind einen Horrorroman geschrieben, ohne so richtig in Horrorgefilde einzusteigen. Es geht um das Thema Schwangerschaft und Muttersein und wie mit all diesen Ansprüchen auch die Zeit verfliegt. Jessica Lind hat dieses Thema zu einem kammerspielartigen Thriller aufgebaut, der vom Setting stark an den Film Blair Witch Project erinnert (Wald) und von seiner gruseligen Grundstimmung auch an einen Stephen King heranreicht.“

Sabine Gelsing: „Ich fühle mich bestmöglich verwirrt, denn oft ist unklar, was der Protagonistin wirklich passiert und was Ausfluss ihrer ­­– teilweise psychotisch anmutenden – Gedanken sind. Die Realität geht mit den Albträumen ein destruktives Bündnis ein. […] Dem Thema Mutterschaft märchenhafte Züge zu verleihen, es mit Horrorelementen zu versehen und dabei Gefühle nachvollziehbar zu machen, verdient große Anerkennung.“

Ines Daniels: „Gekonnt spielt Lind dabei mit verschiedenen Elementen, bemüht romantische Topoi wie den einsamen Wanderer, den Luise immer wieder sieht, erzählt von Einsamkeit und Isolation, was bei mir kurz die Assoziation zu Marlen Haushofers „Die Wand“ geweckt hat. […] Der Roman ist gekonnt konstruiert, und Jessica Lind findet Möglichkeiten, sich einem Thema, das in den letzten Jahren vermehrt literarisch bearbeitet wird, noch einmal auf ganz andere Weise zu nähern.“

Sebastian Aufdemkamp: „Die Kombination aus der Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderwunsch/Mutterschaft und den Spannungselementen, die dem HorrorGenre entlehnt sind, ergeben einen überraschend stimmigen Mix, mit dem ich absolut nicht gerechnet habe. Dazu führen das kammerspielartige Setting und die fast schon aristotelische Reduzierung zu einer intensiven Konzentration auf Amira und ihre konfliktreiche Perspektive auf ihre Mutterrolle. Hier merkt man, dass eine Debütautorin ihr Handwerk offenbar nahezu perfektioniert hat.“


Platz 2 belegt mit insgesamt 35 Punkten Thomas Arzt mit seinem Roman „Die Gegenstimme“:9783701717361

Marion Rave: „Atmosphärisch dicht und sprachlich überzeugend berichtet er [der Autor] von einem einzigen Tag in einem kleinen Dorf, an dem die einen feiern und ein anderer durch den Wald gehetzt wird. […] Mit starken Dialogen zeichnet Arzt ein ganzes Panorama einer Gesellschaft, die sich von Hitlers Regierung eine goldene Zukunft versprochen hat und nachher eh schon immer dagegen gewesen sein wird.“

Petra Reich: „Bis zum Ende der 29 kurzen Kapitel steigt die Spannung und das Buch gewinnt fast Thriller-Qualitäten. Das, zusammen mit dem eigenwilligen Ton und dem gekonnt aufbereiteten historischen Thema, dazu die Aktualität, die Mitläufertum, propagandistische Hetze und Gewalt gegen anders Denkende immer noch besitzt – das alles macht Die Gegenstimme zu einem Roman, den ich nachdrücklich empfehlen möchte.“

Ruth Justen: „Eine Gegenstimme abzugeben und damit sein Leben zu riskieren – diesen Mut der Verzweiflung haben nur wenige Menschen im Angesicht einer mörderischen Diktatur. Wie gut, dass Thomas Arzt solchen Personen mit seinem Debütroman „Die Gegenstimme“ Gesicht und Stimme verleiht.“

Sabine Gelsing: „Die Gegenstimme ist keine leicht zu lesende Lektüre, denn der Autor schreibt in Dialekt, konstruiert ungewöhnliche Sätze, lässt Worte weg, fängt Sätze (gerne zu Beginn eines Kapitels) mit einem Verb an und ich benötigte eine Weile, bis ich mich an Satzbau, Ton und Rhythmus gewöhnte. Mein Dranbleiben zahlte sich aus: Der Roman belohnt mit einem wichtigen Thema, einer kraftvoll unverkennbaren Stimme und großartigen Figuren.“

Patrick Linke: „In schnellen Schnitten und mit hohem Tempo stellt er [der Autor] den schon aussichtslos gewordenen Kampf eines Einzelnen gegen die Mitläufer und Fanatiker des faschistischen Regimes dar. Zudem überzeugt der Autor ganz stark und konsequent mit einer österreichischen Kunstsprache.“


Platz 3 belegt mit insgesamt 28 Punkten Sharon Dodua Otoo mit ihrem Debütroman „Adas Raum“:9783103973150

Eva Jancak: “ Fünf Punkte für Sharan Dudoa Otoo „Adas Raum“, da sie eine sehr originelle frische Tonlage in die Literatur bringt […] und die Frauenbewegung und die Mutterschaft auf diese Art und Weise neu erzählt.“

Silvia Walter: „Es hat mich begeistert und nachhaltig beschäftigt. […] Dieses Buch bietet mir komplexe Themen, verpackt in einer gut lesbaren Sprache. Der Roman ist das, was ich mir von einem Debüt wünsche: etwas vollkommen Neues.“

Patrick Linke: „Sharon Dodua Otoo hat mich mit einem höchst originellen Roman total begeistert, der mit einem tollen Plot in vier Jahrhunderten aufgesetzt ist. […] Dabei strotzen die Geschichten rund um die vier Adas vor skurrilen, humoristischen und ausgeklügelten Einfällen und sind obendrein äußerst spannend und mitreißend geschrieben.“

Marco Lombardi: „Das Buch ist so erfrischend anders, amüsant, verwirrend, weise, philosophisch, historisch und sehr zeitgenössisch zu gleich, prosaisch und lyrisch– ein wahre Schatztruhe aus literarischen Köstlichkeiten. Und vor allem eines: unkonventionell. Ada ist viele. Ada ist alle Frauen. Ada ist die Unterdrückung. Ada ist der Aufschrei! Ada kämpft gegen das Klischee, Zerstörung, Gewalt. Es ist eine sehr kurze Reise durch ein paar wenige (von vielen) Demütigungen an die Frauen, manchmal schlimm zu lesen und dennoch wohl bekannt. Ada ist Viele – vor allem ein literarisch gekonnter Aufschrei.

Fabian Neidhardt: „Sharon Dodua Otoo hat einen sehr klaren, direkten Stil und führt mich durch verschiedene Jahrhunderte und Erzählperspektiven. Das ist immer wieder anstrengend und verwirrend, schafft aber auch Einsichten und Emotionen, die ich nicht erwartet habe.“


Auf Platz 4 landet mit insgesamt 26 Punkten Stefanie vor Schulte mit ihrem Debütroman „Junge mit schwarzem Hahn“:junge-mit-schwarzem-hahn-9783257071665

Katja Plifke: „Das Märchenhafte der Geschichte, der klare Schreibstil, mit dem sie [die Autorin] Martin und seinen Hahn auf dem Weg zu seiner Bestimmung begleitet, haben mich selbst bis jetzt nicht losgelassen. Düster, grausam und humorvoll zugleich ein würdiges Debüt.“

Sandra Doods: „Junge mit schwarzem Hahn hat mich ab Seite eins in den Bann gezogen. Es gibt selten Bücher, in denen der Lesefluss so flüssig ist, dass man völlig in das Geschehen eintauchen kann. […] Sowohl die inhaltlichen Ideen als auch die Umsetzung der Konzepte im Roman haben mir sehr gut gefallen. Auch die Hauptfiguren – der Junge Martin, der sprechende Hahn und der Maler – waren sowohl tief als auch klug gezeichnet. Sehr gelungen!“

Fabian Neidhardt: „Stefanie vor Schulte schafft ein zeitloses, düsteres Märchen, das mich an Filme von Guillermo del Toro und Tim Burton erinnert. Immer etwas schattenhaftes, wie ein literarischer Scherenschnitt, stets mit feinem Humor. Hat mich von der ersten Szene an gefangen und bis zum Ende nicht mehr losgelassen.“

Sebastian Aufdemkamp: „Die märchenhaften Elemente und das düstere, mittelalterliche Setting, das an die klassischen Schauerromane aus der schwarzen Romantik erinnert, sind erst einmal überraschend. Ich habe dieses Buch nicht mehr aus der Hand legen können, denn spannend ist es definitiv und die bildreiche Sprache erleichtert das Eintauchen in diese fremdartige Welt.“

Sabine Gelsing: „Ausdrucksstark und eindrücklich erzählt, rückt die Autorin Stephanie vor Schulte Leben und Tod, Gut und Böse ins Licht und zusammen. […] Jeder Satz sitzt, es gibt kein Zuviel. Die Geschichte ist, obwohl sie im Mittelalter verortet zu sein scheint, zeitlos. Ich lese sie als Plädoyer dafür, wie erhellend ein Blick hinter Fassaden sein kann.


Platz 5 mit insgesamt 11 Punkten belegt Ariane Koch mit ihrem Debütroman „Die Aufdrängung“:12784

Marion Rave: „Ein Gast der nicht mehr gehen will und eine Erzählerin, die nicht weiß, ob er überhaupt schon gehen soll – Ariane Koch nimmt diese Konstellation als Basis für ein sprachliches Wagnis, bei dem vieles in der Schwebe bleibt und wenig greifbar wird. Der Stil ist abwechslungsreich und fordernd, zwischen klassisch erzählten Episoden und solchen, die man eigentlich auf einer Bühne erwarten würde. Zwischen all dem Fordernden aber glänzt der Roman mit Humor und skurrilen Einfällen.“

Katja Plifke: „Grotesk. Bizarr. Philosophisch. Rätselhaft. Viel Symbolik, viel zwischen den Zeilen, mit vielen Bedeutungsebenen. […] Definitiv Geschmackssache, aber mich hat dieses Debüt vollends abgeholt.“

Ines Daniels: „Koch verbindet, was eigentlich nicht zusammengehört, streut absurde Episoden ein, oft blitzt ein leiser Humor durch. Obwohl es mir Die Aufdrängung wirklich nicht leicht gemacht hat und ich oft verwirrt war, konnte ich mich dem Roman nicht entziehen. Eine eigenwillige Annäherung an das Fremde, das einbricht in das Eigene, ein Roman, der mehr Fragen stellt als beantwortet und von seiner außergewöhnlichen Sprache lebt.“

Petra Reich: „In radikalem Subjektivismus und mit einer abgründigen Komik erzählt Ariane Kochs Protagonistin sehr skurrile Episoden von ihrem Zusammenleben mit einem „Gast“. Ihre Sätze sind präzise und von fast bürokratischer Nüchternheit, sie funkeln vor Klugheit und Absurdität und bieten den Leser:innen eine Fülle von Interpretationsmöglichkeiten. Die Aufdrängung ist ein Buch, mit dem man sich trotz seines geringen Umfangs lange beschäftigen kann.“

Eva Jancak: „[…] für Ariane Kochs Die Aufdrängung, die in sehr kurzen knappen Szenen das Erwachsenwerden in Art des absurden Theaters neu erzählt. […] Coming of Age-Roman, der eigenlich eine Aneinanderreihung von kurzen Szenen ist, die in einer sehr schönen Sprache sehr kunstvoll erzählt wird.“

Interviews

Sebastian Aufdemkamp im Interview mit:

Jessica Lind // Thomas Arzt // Stefanie vor Schulte // Sharon Dodua Otoo // Ariane Koch

Silvia Walter im Interview mit:

Jessica Lind // Thomas Arzt // Stefanie vor Schulte // Sharon Dodua Otoo // Ariane Koch

2 Antworten zu „[Das Debüt 2021] Der Preis geht an…”.

  1. Ein sehr lesenswerter, persönlichkeitsstarker Roman! Obwohl auch „Adas Raum“ den Preis durchaus verdient hätte. ;-)

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