[Literaturpreis] Gesa Olkusz – Legenden

Am 18.9.2015 wird der Franz-Tumler-Preis für den besten deutschsprachigen Debütroman in Laas verliehen. Wie wir bereits ankündigten, verfolgen wir die Verleihung und darüber hinaus hat jede von uns einen der nominierten Romane gelesen. Wir werden nun in einer kleinen Reihe jeweils die Autorinnen in einem Interview und Statements zu ihren Romanen vorstellen.

Wir setzen unsere Reihe mit Gesa Olkusz und ihrem Debütroman „Legenden“ fort.

olkusz_vorschau.inddFilbert, die Hauptfigur in „Legenden“ ist ein eher schwieriger Typ. Nicht unsympathisch, aber doch eigenwillig, auch ein bisschen schwermütig. Er lebt im Berliner Künstler-Milieu, raucht gern und trinkt gern Kaffee in kalten, nächtlichen Küchen. Hin und wieder tut er etwas Dummes. Außerdem wird sein Leben überschattet von der Lichtgestalt seines verstorbenen Urgroßvaters Stanis und der weniger lichten, dafür aber sehr lebendigen Erscheinung seines „Tantchens“. Stanis, der Großvater, hatte während der deutschen Besatzung in einem ungenannten osteuropäischen Dorf Widerstand geleistet und war dafür deportiert worden. In Filberts Leben materialisiert sich dieser heroische Mythos in unerfüllbaren Erwartungen an ihn und in harter Ablehnung angesichts seines chronischen Scheiterns an diesen Erwartungen. Doch dann erfährt er, dass sein Großvater Stanis nicht bei einem Unfall gestorben ist, sondern in Kanada ein neues Leben angefangen hat. Einige Verwicklungen und Zeitsprünge später findet sich Filbert in Kanada wieder. Dort soll er plötzlich Teil einer Familienzusammenführung werden, die der mysteriöse und vielleicht sogar zeitreisende Junge Aureliusz plant. Am Ende kommt alles anders. Und außerdem ist da noch Mae, die Filberts Herz in der Gegenwart verankert und seine Zukunft seine könnte.


Gesa Olkuszs Roman wurde von Paul Jandl in der WELT euphorisch besprochen und erschien im Frühjahr 2015 bereits in der zweiten Auflage. Bisher hat das Buch aber trotz des guten Starts noch wenig Aufmerksamkeit erfahren. Gesa Olkusz war damit für den Silberschweinpreis der lit.Cologne nominiert und durfte auf dem Wiener „Wortspiele Festival“ lesen. Die frühe Aufmerksamkeit wiegt aber doppelt, wenn man bedenkt, dass Gesa Olkusz nicht eine der üblichen Talentschmieden – wie Literaturinstitut oder Schreibwerkstatt – besucht hat. Sie studierte stattdessen Philosophie und Interkulturelle Fachkommunikation in Amsterdam und Berlin, wo sie auch lebt.
Berlin. Das ist so eine Sache – auch im Roman. Je weiter sich der Schauplatz von Berlin entfernt, desto besser scheint er nämlich zu werden. Filbert ist – vor allem am Anfang – einer dieser verdrießlichen Hauptstadtbewohner, die nicht ohne eine dicke Portion Weltschmerz können. Das ist einfach ziemlich abgegriffener Stoff. Zum Glück folgt schnell ein Szenenwechsel und jede Menge originelle Nebendarsteller. Im Osten macht der Leser eine magische Zeitreise und in Kanada schielt der Wahnsinn durch alle Ritzen und macht den zerdrückten Generationenroman zu einem psychologischen Zirkuszelt voller Rätsel und Zauberstaub. Das macht Spaß, wirft Fragen auf und ist wunderbar leicht und trotzdem schillernd erzählt: „Seine Schritte knirschen auf dem Weg, knirschen, knirschen weniger, sodass er den Blick vom lockenden Wald auf den Boden richtet, auf dem seine Schritte leiser und weicher werden und ein wenig feucht, und feuchter, und er verlangsamt seinen Gang, bleibt stehen, ungläubig erst, dann auflachend, denn der Boden reißt auf und bernsteinfarben ergießt sich die Zeit über die Felder, strömt über Wiesen und Weg, streift auch Aureliusz Füße, die sich sofort in Bewegung setzen, zu laufen beginnen, dann auf den Wald zurennen, spritzend in den Fluten der Zeit.“
Vielleicht ist das graue, zerschriebene Berlin mit all seinen Klischees auch der Grund, warum der Roman nie kitschig oder esoterisch wird. Gesa Olkusz erzwingt jedenfalls ziemlich unwiderstehlich die Konfrontation mit der Ahnengalerie und untersucht die Weltkriegsnarben, die sich jedem einzelnen Gesicht eingeprägt haben. Diese Untersuchung ist nicht verstaubt, sondern – kunstvoll und magisch und das Beste: Sie trifft uns alle und sie trifft auch ins Zentrum der zeitgenössischen Literatur. Denn in Zeiten, in denen das Generationengedächtnis sich immer mehr aus unserem Alltag schleicht, ist es umso willkommener in der Literatur. Gerne auch fragmentiert, subjektiv und aus Sicht der Nachgeborenen wie in „Legenden“. Ein heißer Preiskandidat.


Interview mit Gesa Olkusz

August 2015

© Frederike Nass

© Frederike Nass

Wie lange hast du an dem Roman gearbeitet?

Ungefähr vier Jahre.

Wie schwer gestaltete sich die Verlagssuche?

Ich habe den Text zuerst an die Literaturagentin Susan Bindermann geschickt, die hat ihn angenommen und daraufhin die Verlagssuche für mich übernommen.

Was war es für ein Gefühl, dein fertiges Buch in Händen zu halten?

Das war ein sehr gutes Gefühl.

Gibt es Autoren oder Bücher, die dich und dein Schreiben beeinflusst haben?

Da gibt es viele, ganz verschiedene. Um nur einen zu nennen: A.F.Th. van der Heijden. Er hat mit der Wahrnehmung und Verdichtung der Wirklichkeit in dem Romanzyklus Die zahnlose Zeit großen Eindruck auf mich gemacht.

Ist ein weiteres Buch geplant?

Ja, ich arbeite schon seit einiger Zeit an einem neuen Buch.

Welche Bedeutung hat der Franz-Tumler-Literaturpreis für dich?

Ich kannte Franz Tumler vor der Nominierung nicht, und bin noch dabei, ihn zu lesen. Als Debütpreis bedeutet er natürlich nicht nur eine Anerkennung des nominierten Buches, sondern auch eine Unterstützung der weiteren Arbeit, und das ist toll.

Was hast du gedacht, als du von deiner Nominierung erfahren hast?

Ich habe mich sehr gefreut! Es ist einfach schön, das Buch auf diese Weise geschätzt zu wissen.

Steigert das Lesen der anderen nominierten Romane die Nervosität?

Ehrlich gesagt habe ich die anderen Bücher noch gar nicht gelesen, weil ich gerade so sehr in der Arbeit an dem neuen Roman stecke. Ich freue mich aber schon auf die Lesungen in Laas.


Vorstellung in Büchern

Nenne ein wichtiges Buch…

… aus deiner Kindheit51oBmzxuNTL

Meine Erinnerungen an die Bücher meiner Kindheit bestehen vor allem aus Bildern. Zum Beispiel Szenen aus Der Turm der schwarzen Steine, von Guus Kuijer.

… aus deiner Jugend3-499-14361-5

Henry Miller, Wendekreis des Krebses, hat mir in meiner Jugend eine andere Art des Erzählens gezeigt.

… aus deiner aktuellen Lebensphase978-3-498-04695-8

Die Parallelgeschichten von Peter Nadas, aus unzähligen Gründen.

… das du dir für die Gegenwartsliteratur wünschen würdest, das aber noch nicht geschrieben wurde.Last_and_First_Men

Eine Variante von Olaf Stapledons Last and First Men, ausgehend von den Erfahrungen der letzten achtzig Jahre.

[Gesa Olkusz – Legenden

Residenz Verlag

192 Seiten, 2015, gebunden, 19,90 €]


Gesa Olkusz wurde 1980 geboren. Sie studierte Philosophie und Interkulturelle Fachkommunikation an der Universiteit van Amsterdam und der Freien Universität sowie der Humboldt Universität Berlin. Derzeit lebt und schreibt sie in Berlin. „Legenden“ ist ihr erster Roman.

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