Tanja Dückers - SpielzoneMein erster Roman „Spielzone“ hat mich jahrelang in Anspruch genommen. Ich beneidete Autoren, die ihr Debüt in einem „Schreibrausch“ herunterschreiben konnten, ich habe damals genauso wie heute eher langsam und gründlich gearbeitet. Das Überarbeiten der Kapitel hat länger als das Schreiben gedauert. Auch musste ich viel recherchieren, da mein Roman viele realistische Rekurse auf die Berliner Bezirke Neukölln und Prenzlauer Berg enthielt. Die Recherche machte die halbe Arbeit aus. Als das Buch endlich erschien, war die Publikation für mich keine große Überraschung, weil ich vorher schon zwei Gedichtbände in einem Miniverlag veröffentlicht hatte – und viele Anthologiebeiträge. Sicher an die 20 oder 30. Ich gehörte nicht zu den superjungen Autoren, ich war schon 30, als mein Prosadebüt erschien. Bei den Gedichtbänden (einem deutschen und einem englischen) war ich 28 Jahre alt. Mein erster Verlag war ein Ein-Mann-Unternehmen, der Verlag hieß „Bonsai typArt-Verlag“. Der Name Bonsai war sehr treffend.

Wie auch später war die Erscheinung des Romans „Spielzone“ allein deshalb irgendwie traurig, weil ich es immer als begrenzend empfinde, wenn ein Stoff nicht weitergesponnen, weitergedacht werden kann, sondern zwischen zwei Buchdeckeln „gefangen“ ist. Ich hatte mich so an die Figuren aus „Spielzone“ gewöhnt, dass ich sie nun direkt vermisste. Eine Figur, eine alte Dame namens Rosemarie Minzlin, habe ich noch oft später in Kurzgeschichten und Gedichten auftauchen lassen. Ich könnte mir auch jetzt, über 15 Jahre später, vorstellen, sie nochmals irgendwie unterzubringen. Vielleicht rückt sie mir immer näher, je älter ich werde. Andere Figuren sind für mich in die Ferne gerückt, wie alte Nachbarn, die längst fortgezogen sind oder alte Klassenkameraden.

Da Texte für mich potentiell „unendlich“ sind, das heißt, nie abgeschlossen, immer wieder frei für die Imagination, habe ich auch Kapitel aus meinem Roman „Spielzone“ später noch umgeschrieben und verändert. Wenn ich jetzt, was gelegentlich noch vorkommt, Lesungen aus dem Roman habe, lese ich die neuen Fassungen. Manchmal stört das eifrige Zuhörer, die mit dem Roman bewaffnet in der ersten Reihe sitzen und sich wundern, was ich da lese. Ich habe nicht grundsätzlich abgewichen, aber vieles anders formuliert, vor allem gerafft, gekürzt. So richtig gern lese ich die frühen Bücher von mir heute nicht mehr, weil ich immer mit ihnen unzufrieden bin. Einige Kapitel oder Ideen gefallen mir noch gut – am meisten die Figuren an sich – , aber ich schreibe heute schon wie ich meine „besser“, im Sinne von ökonomischer, weniger umständlich, straffer. Aber mich rühren alte Bücher wie „Spielzone“, ich erkenne einen Teil meines Lebens, auch dem meiner Generation in der unmittelbaren Nachwendezeit in Berlin, darin wieder. Ich betrachte den Roman heute weniger als großes Kunstwerk denn als interessantes und – teilweise – originelles, ebenso versponnenes wie gut recherchiertes Zeitdokument. Aber ich würde den Roman heute, würde ich nicht nur kleine Korrekturen vornehmen (was ich ja getan habe), sondern im großen Stil verbessern wollen, ganz anders von der Konzeption her gestalten.

© Elisabeth Gehlen
1999 © Elisabeth Gehlen

Was ich damals anstrengend fand, war die viele mediale Aufmerksamkeit. Das war ich, obwohl ich schon einige Lesungen gehabt hatte, nicht gewohnt. Ich denke im Nachhinein, man sollte von verlegerischer Seite her oder auch von Seiten der Literatur-Agenturen (ich war von Anfang an bei einer großen bekannten Agentur) junge Autoren etwas mehr darauf vorbereiten, was da auf sie zukommt. Ich geriet leider in die Ära „Fräuleinwunder“, ein dummer diffamierender Begriff, mit dem quasi alle damals debütierenden Frauen betitelt wurden, egal, wie sie schrieben (sehr unterschiedlich) und wie sie lebten (auch sehr unterschiedlich). Der einzige gemeinsame Nenner war, dass es sich um Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts handelte und dass sie unter 50 Jahren waren. Ich habe mich immer gefragt, warum die vielen damals aufkommenden jungen Autoren nicht mit dem Begriff „Männleinwunder“ belegt wurden.

Aber im Literaturbetrieb, der schon insgesamt noch ziemlich sexistisch ist (dafür könnte ich seitenlang Beispiele angeben), waren viele Frauen unter 50, die plötzlich publizierten, ein Novum. Im Grunde kann man die Kreation dieses diffamierenden Begriffs als eine Art Abwehr aus Angst auffassen. Jedenfalls war ich nicht gewohnt, plötzlich in Fernsehsendungen aufzutreten und mit manchmal wohlwollenden, manchmal auch schadenfrohen Journalisten und Moderatoren konfrontiert zu sein.

Ständig musste man auf der Hut sein, was man sagte, fand sich am nächsten Tag seltsam und lückenhaft zitiert in einer Zeitung wieder. Im Nachhinein denke ich, ich war zu naiv, zu wenig vorbereitet auf den distanzierten Umgang mit Medien. Heute halte ich mir einfach vieles vom Leib und überlege mir eher, was ich sage. Im SPIEGEL wurde zu „Spielzone“-Zeiten ein Foto von mir in einem sehr bunten, „flippigen“ Outfit abgedruckt. Ich lief gern so herum, kleidete mich auf Trödelmärkten und in Secondhand-Läden ein. Auch wenn ich heute wie damals denke, dass das absolut legitim ist: In „seriösen“ Sendungen trete ich nicht mehr so auf. Infolgedessen hieß es damals gleich, ich sei wohl nur an verrückter Mode interessiert und nicht ernsthaft an Literatur. So wurde man ständig als öffentliche Person wahrgenommen, alles, was man sagte oder schrieb (oder was einfach nur an Äußerlichkeiten von einem wahrgenommen wurde) öffentlich kommentiert. Auch wenn es viel positive Resonanz gab, hätte ich mich einige Jahre lang am Liebsten verkrochen.

Ich denke schon, dass Autorinnen auch heute noch stärker nach Äußerlichkeiten beurteilt werden, insbesondere, wenn es sich um Debütantinnen handelt und ihr Verlag und die Medien sich erst noch im wahrsten Sinne des Wortes ein Bild von der „Neuen“ machen wollen.

Irgendwann störten mich meine Kontaktlinsen, ich wechselte auf Brille um. Meinem Retrogeschmack entsprechend, wählte ich ein strenges Modell aus den späten Fünfziger Jahren. Plötzlich las ich in den Portraits über mich und den Rezensionen zu meinen Büchern, dass da eine ernsthafte, gründliche Autorin mit strengem Detailblick am Werk sei… nachdem ich ein Kind bekam, fand ich mich plötzlich öfter in der Schublade „Autorin von Familienromanen“ wieder.

Das Gute am Älterwerden ist: Irgendwann wird einem die Außenwelt und die Resonanz auf das eigenen Werk immer egaler. Man wird in einer Weise frei, die man sich früher nur hat erträumen lassen. Das Wichtigste ist: Das Schreiben an sich. Die Bücher bleiben, die Rezensionen und Portraits nicht.

© Tanja Dückers


Tanja Dückers wurde am 25. September 1968 in Berlin geboren und lebt derzeit mit ihrer Familie ebendort. SIe studierte in Berlin und Amsterdam Germanistik, Niederländisch, Nordamerikastudien und Kunstgeschichte und veröffentlichte in diesem Zeitraum bereits die zwei Lyrikbände „Morsezeichen“ und „Fireman“. Drei Jahre später erschien ihr Debütroman „Spielzone“, auf den noch drei weitere Romane folgen sollten. Insgesamt kann die freischaffende Autorin und Journalistin eine beeindruckende Vielzahl an Veröffentlichungen in den verschiedensten Bereichen vorweisen. Ihr könnt euch hier über ihre Veröffentlichungen informieren.

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