[Literaturpreis] 2019 – Das DebütantInnenjahr

winner-1013979_960_720In kaum einem anderen Jahr zuvor standen so viele Debütromane im Zentrum der Aufmerksamkeit wie 2019. Denn neben den üblichen Literaturpreisen für Debütromane standen auch viele Erstlingswerke z.B. auf der Long- und der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2019. Doch was hat den nominierenden Jurorinnen und Juroren an den Romanen besonders gut gefallen und welche Bücher haben sich durchgesetzt? Eine kleine Zusammenstellung der Preise und ihrer Träger bringt einige Tendenzen des Literaturbetriebs ans Licht.

Doch in erster Linie soll dieser Beitrag eine kleine Bestandsaufnahme liefern, in deren Zentrum die nominierten bzw. gekürten Bücher sowie die Jurybegründungen stehen.

Der wohl bekannteste Preis für ein literarisches Debüt ist der Aspekte-Literaturpreis, der jährlich kurz vor der Frankfurter Buchmesse verkündet und auf der FBM verliehen wird. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert. Nominiert wurden fünf Romane: Berit Glanz‘ „Pixeltänzer“ (Schöffling & Co.), Friedemann Karigs „Dschungel“ (Ullstein), Miku Sophie Kühmels „Kintsugi“ (S. Fischer Verlag) und Tom Müllers „Die jüngsten Tage“ (Rowohlt Hundert Augen). Der zuvor auf die Shortlist gesetzte Roman „Levi“ von Carmen Buttjer (Galiani Berlin) wurde nicht weiter berücksichtigt, weil es sich hierbei um kein Debüt handelt. Carmen Buttjer veröffentlichte nämlich 2017 unter offenem Pseudonym Niah Finnik bei Ullstein Verlag bereits einen autobiografischen Text „Fuchsteufelsstill“, der seitens des Verlags als „Roman“ qualifiziert und u.a. für den Bloggerpreis für das beste Romandebüt des Jahres 2017 eingereicht wurde. Siehe hier.

Die Trägerin des Aspekte-Literaturpreises ist 2019 Miku Sophie Kühmel für ihren Roman „Kintsugi“ (S. Fischer Verlag).

Die diesjährige Jury (Julia Encke, Jana Hensel, Ursula März, Daniel Fiedler und Volker Weidermann) begründet ihre Wahl wie folgt:

„Was neu ist, ist zunächst heil. Erst nach und nach zeigen sich Gebrauchsspuren und Risse. Risse, die manchmal zu kitten sind, die aber trotzdem sichtbar bleiben. Bis die Dinge ganz zerbrechen. Was für Tassen oder Teller gilt, das gilt in Miku Sophie Kühmels erstaunlichem Debütroman ‚Kintsugi‘ auch für die menschlichen Beziehungen. Der Archäologieprofessor Max und der Künstler Reik sind seit 20 Jahren ein Paar, glücklich und beneidet. Zusammen mit ihrem Freund Tonio und dessen Tochter Pega verbringen sie ein Wochenende in ihrem Ferienhaus auf dem Land. Was idyllisch beginnt, zeigt schon bald Kratzer in der perfekt erscheinenden Oberfläche. Und endet in Scherben. ‚Kintsugi‘ blättert nach und nach die wahlverwandtschaftlichen Verhältnisse dieses Quartetts auf. Miku Sophie Kühmel gestaltet dies mit Bravour und Raffinesse und durchleuchtet prägnant den Beziehungsknäuel ihrer vier Charaktere.“ (Quelle)

So lässt sich beobachten, dass die Jury des aspekte-Literaturpreises die dargestellten zwischenmenschlichen Verhältnisse loben. Ein genauerer Blick auf die Nominierten verrät allerdings, dass es sich hier nicht unbedingt um unbekannte Namen handelt. Vielmehr haben sich einige der Personen „im früheren Leben“ entweder eine starke Stimme in den Sozialen Medien (z.B. Berit Glanz, die mit #vorschauzählen um die Sichtbarkeit der Schriftstellerinnen kämpfte oder Friedemann Karig, der u.a. als Moderator und Podcaster bekannt ist) erarbeitet oder sind dem Literaturbetrieb auf eine andere Art und Weise bekannt (z.B. Tom Müller – Verlagsleiter des Tropen Verlags), was eine bereits seit einigen wenigen Jahren zu beobachtende Entwicklung widerspiegelt, die  insb. größere Verlage betrifft: Man setzt lieber auf bekannte Namen, die entsprechende Umsatzzahlen generieren können. In den hier präsentierten Fällen ist der Plan sicherlich aufgegangen. 

Alle zwei Jahre wird in Laas der Franz-Tumler-Literaturpreis ausgetragen, bei dem jeder der fünf Jurymitglieder (2019 waren es: Hans-Peter Kunisch, Manfred Papst, Gerhard Ruiss, Daniela Strigl, Gabriele Wild) einen Roman nominiert. Zur Debatte standen dieses Jahr folgende Titel: Lola Randl „Der grosse Garten“ (Matthes&Seitz), Angela Lehner „Vater unser“ (Hanser Berlin), Niko Stoifberg „Dort“ (Nagel&Kimche), Marko Dinić „Die guten Tage“ (Zsolnay) und Emanuel Maess „Gelenke des Lichts“ (Wallstein Verlag). Nach den obligatorischen Lesungen der Autorinnen und Autoren und einer öffentlichen Diskussion der Jury wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit als Gewinnerin Angela Lehner ermittelt. Der Publikumspreis ging an Lola Randl.

Die Jury begründete Ihre Wahl wie folgt:

Der Franz-Tumler-Literaturpreis geht an einen Roman, der frech, dynamisch und komplex ist, aber auch unterhaltsam, spannend und von hohem literarischem Niveau. Ein vielstimmiger Roman, dessen Reiz nicht nur die Vielschichtigkeit der Hauptfigur ausmacht, sondern auch mit viel Eigenwilligkeit das Genre des Psychiatrieromans bricht.
Mit der Figur der Eva Gruber wurde eine unzuverlässige Erzählerin geschaffen, die nicht nur ihre Therapeuten und ihre eigene Familie verunsichert, sondern genauso die Leserin und den Leser. Lustvoll erzählt, führt uns Angela Lehner in ihrem Roman „Vater unser“ mit dieser Figur permanent auf falsche Fährten. Somit verweigert sich der Roman, und auch das ist durchaus reizvoll, einer einfachen Deutung.
Eva Gruber, so wird nach mehrmaliger Lektüre deutlich, ist eine starke Frauenfigur, die alles andere als klischeehaft handelt und sich dem bloßen Erdulden verwehrt. Auf der anderen Seite ist sie eine Figur, die durch ein eigenes Trauma geprägt ist. Ohne moralischen Fingerzeig spricht die Autorin darüber hinaus eine Reihe von Tabus an, etwa Magersucht, Depression und Selbstmord, dies alles auch vor dem Hintergrund eines katholisch geprägten gesellschaftlichen Umfeldes.
Nicht nur der Wechsel zwischen Situationskomik und poetischen sowie nachdenklichen Stimmungen, sondern auch (irr)witzige Dialoge sind in seiner sprachlichen Gestaltung hervorzuheben. Alle fünf Texte zeugen von einem hohen literarischen Niveau und wurden von der Jury als durchaus preiswürdig erachtet. (Quelle)

Die österreichische und nun in Berlin lebende Autorin Angela Lehner ist sicherlich die meistgekürte Debütantin 2019. Denn neben dem Franz-Tumler-Literaturpreis wurde sie z.B. mit dem mit 10.000 Euro dotierten Literaturpreis Alpha 2019 ausgezeichnet.  Nominiert wurden zu diesem Preis des Weiteren Malte Borsdorf „Flutgebiet“ (müry Salzmann Verlag) und Martin Peichl „Wie man Dinge repariert“ (edition atelier). Die Begründung lässt sich der Laudation der Jurymitglieder (Karin Cerny, Paulus Hochgatterer, Dietmar Hoscher) entnehmen:

„Vater unser ist ein Buch, in dem die Genauigkeit der Autorin und ihr profundes Wissen um den Hintergrund der Figuren und Ereignisse dazu führen, dass man sich in ihm sehr bald so aufgehoben und sicher fühlt, wie es typisch ist für Bücher, die klüger sind als man selbst. Es ist ein Roman, der in einer schlichten, treffsicheren Sprache von den wirklich komplizierten und schwer fassbaren Dingen erzählt, von Beziehung und von Verlust. Ein Roman, der auf Raunen und Getöse verzichtet und genau dadurch das hören lässt, was seit jeher Grundton von Literatur war, das Lachen und den Schmerz.“ (Quelle)

Am 04. November 2019 folgte für Angela Lehner eine weitere Auszeichnung: Der Österreichischer Buchpreis 2019 – Debüt. Sie setzte sich gegen Marco Dinić „Die guten Tage“ und Tanja Raich „Jesolo“ (Blessing Verlag) durch. Eine weitere (bereits durch den Bachmann-Preis bekannt gewordene) Debütantin Raphaela Edelbauer „Das flüssige Land“ (Klett-Cotta) wurde für den Hauptpreis nominiert.

Die Jury (Pia Janke, Robert Renk, Christian Schacherreiter, Anne-Catherine Simon, Uwe Wittstock) begründet ihre Wahl wie folgt:

„In Angela Lehners Roman „Vater unser“ erzählt Eva Gruber von ihrer Einlieferung in die psychiatrische Anstalt, ihrem magersüchtigen Bruder, den sie dort findet und retten möchte, und ihrem Vater, den sie zusammen mit dem Bruder töten will. An das Gebot „Du sollst nicht lügen“, das es, wie sie feststellt, gar nicht gibt, hält sie sich überhaupt nicht: Hat sie nun die Kindergartenkinder erschossen, wie sie behauptet? Wurden sie und ihr Bruder vom Vater missbraucht und von der Mutter allein gelassen? Begeht der Chefpsychiater, der sie behandelt, wirklich Selbstmord? Unzuverlässig ist sie, die Erzählerin, respektlos und verletzlich zugleich, und sie kehrt damit nicht nur die Welten der Irren und der Normalen um, sondern stellt auch sämtliche, zumeist männliche Autoritäten und deren Ordnungen in Frage. Angela Lehners fulminanter Debütroman, unsentimental, frech und direkt erzählt, ist Familiengeschichte, Krankenhausreport und Krimi in einem – und zugleich ein kritischer Befund eines katholisch geprägten Österreich, in dem auf den Hausaltären neben dem Rosenkranz das gerahmte Porträtfoto von Jörg Haider liegt.“ (Quelle)

Auch der Deutsche Buchpreis war dieses Jahr sehr stark mit DebütantInnen besetzt. Auf die Longlist schafften sogar sieben Debütromane: Raphaela Edelbauer „Das flüssige Land“ (Klett-Cotta), Karen Köhler „Miroloi“ (Hanser Verlag), Miku Sophie Kühmel „Kintsugi“, Angela Lehner „Vater unser“ (Hanser Berlin), Emanuel Maess „Gelenke des Lichts“ (Wallstein Verlag), Lola Randl „Der grosse Garten“ (Matthes&Seitz) und Tonio Schachinger „Nicht wie ihr“ (Kremayr&Scheriau). Ähnlich bestand die Shortlist zur Hälfte aus Debüts: Edelbauer, Kühmel und Schachinger. Für den Hauptpreis, der an Saša Stanišić für „Herkunft“ ging, reichte es dann allerdings doch nicht. Dennoch erfreuten sich dieses Jahr viele Debütromane einer großen Aufmerksamkeit. (Link zur Seite des Deutschen Buchpreises.)

Den (Sympathie-Publikums-)Debütpreis der lit.cologne 2019 erhielt Giulia Becker für „Das Leben ist eins der Härtesten“ (Rowohlt Hundert Augen). Der frühere „Silberschweinpreis“ ist mit 2222 Euro dotiert. Dem Publikum stellten sich auch Anselm Oelze mit „Wallace“ (Schöffling & Co.) und Helene Bukowski „Milchzähne“ (Blumenbar), konnten aber anscheinend weniger punkten. Eine offizielle Jurybegründung für die Nominierung für diesen Preis erfahren nur die Besucher der Veranstaltung.

Der Klaus-Michael Kühne-Preis 2019 geht an Dana von Suffrin für „Otto“ (Kiepenheuer & Witsch). Die Preisträgerin wurde während des Harbour Front Literaturfestivals in Hamburg gekürt. Bei der Veranstaltungsreihe Debütantensalon haben sich an vier Abenden sechs Autorinnen und zwei Autoren um den Preis beworben.

Die Jury begründet ihre Wahl wie folgt:

„Otto: was für ein fürchterlicher, großartiger Kerl! Er jammert und mahnt und drängelt und quatscht, er verachtet und er liebt − und das alles tut der Siebenbürger Jude aus tiefem Schmerz, dem Schmerz, überlebt zu haben. Dana von Suffrin gelingt mit ihrem Debüt eine eigenwillige Erzählung über einen Familienpatriarchen, der bis zum allerletzten Tag den Widrigkeiten des Lebens seinen Trotz entgegensetzt; und über die Liebe seiner Töchter, die an der Lächerlichkeit seines Geizes, seiner wirren Geschichten und seiner Nasenhaare leiden und sich ihm doch unzerstörbar nahe fühlen. Ein lustiges, trauriges, temporeiches und melodiöses Buch, dem man viele Leser wünscht.“ (Quelle)

Neben den großen Preisen gab es auch einige kleinere Preise für Debütanten.

So prämiert Literaturwerk Rheinland-Pfalz-Saar mit Schriftstellerverband Saarland (VS) Literarisches Debüt 2019. Der Preis ging an Maike Wetzel für „Elly“ (erschienen 2018).

Der mit 15.000 Euro dotierte Mara-Cassens-Preis geht 2019 an Emanuel Maeß für „Gelenke des Lichts“ und der Kranichsteiner Literaturförderpreis (5.000 €) wird an Katharina Mevissen für „Ich kann dich hören“ verliehen.

Tonio Schachinger „Nicht wie ihr“ hat neben der Nominierung für die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2019 nun auch den Bremer Förderpreis erhalten, der am 20.01.2020 ebenda verliehen wurde.

Den Bloggerpreis für Literatur – Das Debüt 2019, auf dessen  Shortlist 2019 fünf Debütromane schafften, gewann Nadine Schneider mit „Drei Kilometer“ (Jung und Jung). Der Preis wird der Autorin während einer Lesung am 24.04.2020 in Essen (19.30 Uhr in der Galerie SCHLAG, Teichstr. 9 in Essen) verleihen. 

Liest man die zitierten Jurybegründungen, muss man unweigerlich feststellen, dass es eine Verbindung zwischen der Größe des Preises und der Intensität der Auseinandersetzung mit dem gekürten Werk gibt, und zwar: Je größer und „wichtiger“ der Preis, desto oberflächlicher und allgemeiner fällt die Jurybegründung aus. Zudem spielt bei den meisten gekürten Werken die sprachliche Umsetzung keine entscheidende Rolle, sondern sie scheint vielmehr der Handlung und dem allgemeinen Thema des Buches unterordnet zu sein. Dies hängt womöglich damit zusammen, dass die Gremienarbeit im Bereich der Literatur und Kultur oft gar nicht oder nur symbolisch vergütet wird. Umso mehr freue ich mich, dass es dennoch Menschen gibt, deren Herz für die Literatur schlägt und die sich trotz der mickrigen Vergütung für die Buchbranche entscheiden und manchmal auch schlechte Romane lesen müssen… Denn es ist eine große Leistung, aus einem Stapel von beschriebenen Seiten die Perlen auszusuchen. Diejenigen Stimmen zu finden, die wirklich etwas zu sagen haben. Neue Stimmen, deren Texte nicht nur bloße Verarbeitung der eigenen noch nicht abgeschlossenen Kindheit sind oder einer geliebten Person ein Denkmal setzen wollen, sondern solche, die uns erlauben, uns selbst und die Welt, die uns umgibt, aufs Neue zu entdecken. Bücher, die uns die Augen öffnen. Bücher, die man am liebsten jedem schenken würde.  

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Wurde in dieser Zusammenstellung ein Debütantenpreis nicht berücksichtigt? Sag uns in den Kommentaren Bescheid, dann holen wir es nach!

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